Den Raum erleben

Das Wiener Designer-Duo "mischer'traxler" visualisiert Zusammenhänge. Etwa zwischen Mensch und Natur oder Systemen innerhalb der Gesellschaft. Zuletzt präsentierten sie den Besuchern der London Design Biennale 2016 eine interaktive Lichtinstallation.
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Bei mischer'traxler ist jedes Stück ein Unikat.
Bei mischer'traxler ist jedes Stück ein Unikat.
SN/mischer’traxler

Mehr als hundert Leuchtkörper erhellen den Raum. Verbunden durch Karbonstäbe, die an der Decke befestigt sind, reagieren sie auf jede Bewegung, auf jede Interaktion der Menschen: Hängt die Installation ganz still in perfekter Balance, ist die Leuchtkraft am stärksten. Stupst jemand einen Leuchtkörper an, setzt sich das Gebilde in Bewegung und das Licht dimmt sich. "Je mehr Personen im Raum interagieren, umso schwächer ist die Leuchtkraft", sagt Katharina Mischer, "man wird als Betrachter ein Teil des Ganzen, da die Installation auf die Menschen reagiert."

Katharina Mischer und Thomas Traxler entwickelten die kinetische Beleuchtungsinstallation "Level - The Fragile Balance of Utopia" für die London Design Biennale, die unter dem Titel "Utopia by Design" stand. Als österreichische Vertreter präsentierten die jungen Designer vergangenen September ihre Interpretation einer Utopie.

"Würde eine Utopie funktionieren, wäre sie ein perfekt ausbalanciertes System", sagt Mischer. Sie sei statisch und entfalte dadurch die größte Wirkungskraft. "Kommt ein System allerdings aus dem Gleichgewicht, beginnt es zu kollabieren. Es zerbricht." Und genau diesen Zusammenhang verkörpert das Projekt. "Ein kleiner Anstoß kann viel auslösen, da alles miteinander in Verbindung steht", sagt Traxler, "der Besucher merkt, einen Einfluss auf das System zu haben. Und dadurch wirkt es stärker auf ihn ein."

Die zwei Designer gründeten vor sieben Jahren das "mischer'traxler studio". Mischer und Traxler studierten zusammen an der Design Academy im niederländischen Eindhoven und leben seit ihrem Abschluss wieder in Wien. Sie entwerfen Objekte, Möbel, alternative Produktionsprozesse und interaktive Installationen. "Wir versuchen, unseren Projekten eine zweite Ebene zu verpassen", erklärt Traxler, "auf der einen Seite steht der visuelle Teil, auf der anderen das Thema, auf dem das Projekt aufgebaut ist." Ihre Inspirationsquellen beziehen die Wiener Designer vor allem aus Systemen innerhalb der Gesellschaft und aus Zusammenhängen zwischen Mensch und Natur.

Warum sieht in großen Möbelgeschäften alles gleich, jeder Baum aber anders aus? Aus dieser Frage entwickelte sich das Projekt "The idea of a tree": ein solarbetriebener Produktionsprozess, mit dem die Designer Lampen, Hocker, Bänke und Beistell-
tische produzieren. "Während seines Wachstums reagiert ein Baum auf Umgebungseinflüsse und speichert diese in seinem Äußeren", erklärt Traxler. Diese Aufzeichnungsqualitäten sollten sich auch in ihren Möbeln widerspiegeln.

Die Sonne bestimmt das Aussehen
Doch wie funktioniert dieser Produktionsprozess? Eine Maschine steht einen Tag lang in der Natur und wird mit Sonnenenergie angetrieben. Dabei wird ein Baumwollfaden durch ein Farbbad gezogen, danach in Leim getränkt und auf eine Form gewickelt. Bei hoher Sonnenintensität wickelt die Maschine schneller und das Objekt bekommt einen helleren Farbton. Umgekehrt ist es bei wenig Sonnenschein, die Farbe wird dunkler. Die Länge des Möbelstücks hängt von der Tagesdauer ab: Im Winter sind die Objekte kürzer, im Sommer länger. "Wie der Baum auf Umgebungseinflüsse reagiert, wird auch die Maschine durch ihre Umgebung beeinflusst", sagt Katharina Mischer, "so ist jedes Möbelstück ein Unikat und ein Produkt seiner natürlichen Einflüsse."

Die Designer haben einen experimentellen Zugang zu ihren Werken. "Wir folgen keinen Trends", sagt Mischer, "sondern versuchen, Fragen zu stellen und durch Objekte Geschichten zu erzählen." Wie etwa bei ihrem Projekt "Day-by-Day", das sie mit der italienischen Firma Nodus entwickelten: "Day-by-Day" sind Teppiche, die in Nepal produziert werden. "Der Teppich soll die Arbeitszeit visualisieren, die ein Arbeiter benötigt, um einen Teppich zu knüpfen", erklärt Traxler. Das Muster wird den Arbeitern durch eine Schablone vorgegeben und ähnelt einer Zellstruktur mit vielen einzelnen Teilchen. Um diese farblich zu füllen, verwenden die Knüpfer jeden Tag eine andere Farbe. "So entstehen subtile Streifen, die einen Arbeitstag repräsentieren", sagt Traxler. Ob 40 oder 100 Tage - der Arbeitsaufwand ist direkt am Objekt ablesbar. Jeder Teppich enthält ein Lederetikett, auf dem der Name des Knüpfers und das Datum des letzten und des ersten Arbeitstags zu finden sind.

Ein anderes Projekt widmet sich der Nachtfalterart "Catocala Conversa", die vom Aussterben bedroht ist. Dabei handelt es sich um ein künstliches Lichtobjekt, das den Verlust der Artenvielfalt symbolisiert und auf die Ausbeutung von naturräumlichen Ressourcen hinweist. Jeder Falter erhält eine Nummer. "Das Endergebnis repräsentiert die Gesamtpopulation der Nachtfalter, die in Österreich noch existiert", sagt Mischer. Das Objekt stellt einen großen Schwarm von Faltern dar, die einer Lichtquelle entgegenfliegen. Landesweit gibt es nur noch 900 bis 1200 Exemplare dieser Art. Die Installation versucht, abstrakte Zahlen und reale Limitierungen greifbar zu machen. Solche realen Limitierungen soll auch ein weiteres Projekt visualisieren, das sich verschiedenen aussterbenden Insektenarten widmet. Mit der Lichtinstallation "Curiosity Cloud" waren die Designer im Vorjahr am London Design Festival vertreten. Laut Mischer kann der Mensch die Natur in all ihrer Schönheit erkennen, diese aber auch gefährden.

Glühbirnen repräsentieren Insekten
Die Installation soll genau diese Thematik widerspiegeln: 264 Glühbirnen hängen von der Decke. In jeder einzelnen befindet sich ein Insekt. Ist es still, sind die Insekten ruhig und das Licht ist schwach. Sobald sich aber jemand der Lichtinstallation nähert, beginnen die Insekten darin hektisch zu flattern und die Glühbirnen zu leuchten. Je mehr Menschen im Raum sind, umso heftiger sind deren Bewegungen in den Glühbirnen. "Es ist ein magischer Moment und ein bisschen so, als wäre man in einem Traum", sagt Katharina Mischer.


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