SN.AT / Leben / Wohnen

Vier Säulen für einen nachhaltigen Bau

Künftige Wohnbauten müssen neue Faktoren in der Planung berücksichtigen. Der Neubau auf der grünen Wiese ist nicht mehr das Ziel. Gerade in Städten gewinnt das "Urban Mining".

Das Projekt „Kennedy Garden“ in Wien der Delta Podsedensek Architekten ZT GmbH wurde kürzlich mit dem „Greenpass“-Zertifikat prämiert.
Das Projekt „Kennedy Garden“ in Wien der Delta Podsedensek Architekten ZT GmbH wurde kürzlich mit dem „Greenpass“-Zertifikat prämiert.

Die Bauwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der größten Konjunkturmotoren in Österreich entwickelt, unter anderem weil an ihr viele weitere Branchen hängen. Die aktuelle Coronakrise lässt diesen Motor zwar stottern, dennoch kam der Bau deutlich besser als andere Wirtschaftszweige durch die Einschränkungen der Pandemie. Vor allem der Wohnbau läuft weiterhin auf sehr hohem Niveau und zieht aktuell die Aufmerksamkeit zahlreicher internationaler Investmenthäuser auf sich, die in Wien ein Wohnprojekt nach dem anderen kaufen. Richtig umgesetzt, kann die Errichtung von Gebäuden nicht nur die Weichen für eine raschere Wirtschaftserholung vor- und nachgelagerter Branchen stellen, sondern nach wie vor als einer der größten Hebel zur Erreichung der Klimaziele wirken. Einen Schlüssel dafür liefert die nachhaltige Bauwirtschaft.

"Etwa 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU entfallen auf die Baubranche. Ebenso etwa 50 Prozent aller Transporte, 35 Prozent aller Abfälle und 30 Prozent der CO2-Emissionen. Die Art und Weise, wie wir heute bauen, hat einen wesentlichen Einfluss auf unsere ressourcenmäßige und ökologische Zukunft", ist Wolfgang Kradischnig, Geschäftsführer des Architekturbüros Delta Podsedensek Architekten ZT, überzeugt: "Mit verschiedenen Leitfäden setzen wir eine Benchmark und haben uns zum Ziel gesetzt, in der Immobilienbranche bei öffentlichen und privaten Bauherren mehr Bewusstsein für den Lebenszyklus zu schaffen - weg vom fokussierten Blick auf die Errichtung." Dem Experten zufolge sind unter anderem folgende vier Säulen für einen smarten, nachhaltigen Bau ausschlaggebend:

Mobilität ganzheitlich denken

"Es ist nicht allzu lange her, dass Mobilität im Zusammenhang mit Gebäudeentwicklung lediglich durch das ausreichende Schaffen von Stellplätzen Berücksichtigung fand. Mittlerweile hat sich das Mobilitätsverhalten geändert - vor allem bei der jüngeren Bevölkerung. Die Verfügbarkeit von Fahrradabstellplätzen und ein Mobilitätsangebot in der Nähe sind in den Fokus der Bewohner gerückt", sagt Kradischnig. Um den sich verändernden Klimabedingungen auch im sozialen Wohnbau gerecht zu werden, braucht es intelligente und finanzierbare Energiekonzepte.

Die sommerliche Überhitzung spielt ebenfalls eine sehr große Rolle in der Gesamtkonzeption eines Gebäudes. Die Kombination aus verschiedenen Maßnahmen führt zu einem behaglichen Raumklima im Sommer. "Wer klimaneutral bauen will, baut dort, wo Bewohner auf das Auto verzichten können. Beispielsweise ist das Bauen auf der grünen Wiese deutlich weniger nachhaltig als ein Projekt im Zentrum, selbst wenn der Neubau in Passivhausqualität errichtet wird", betont der Experte. Denn es werde die Zersiedelung forciert, dazu kämen der Aufwand für die Bereitstellung von Infrastruktur und ein deutlich höherer Aufwand in puncto Mobilität.

Energieeffizienz im Vorfeld planen

Energieeffizientes Bauen mit erneuerbarer Primärenergieversorgung bedeutet auf lange Sicht ökologisches und bezahlbares Wohnen. Ambitionierte Energiestandards im Neubau seien eine Investition und vermeiden Kosten in der Zukunft. Mittlerweile widerlegen mehrere Studien das Vorurteil, dass energieeffizientes Bauen teuer sei. Die geringen Mehrkosten bei der Errichtung werden im Lebenszyklus durch die reduzierten Energiekosten mehr als ausgeglichen.

Kradischnig zufolge zählt, wo die Energie herkommt: "Wir brauchen immer mehr Kälte, Wärme und Strom. Diese müssen wir aus erneuerbaren Quellen herstellen und die Gebäude von fossiler Energie und CO2-Emissionen entkoppeln. Dazu gehört, dass erneuerbare Energien nicht nur mit großem technischen Aufwand im Nachhinein aufgesetzt, sondern schon als Teil des Niedrig- oder Plusenergiegebäudes geplant werden."

Das beginnt bereits bei der Ausrichtung des Gebäudes, um sowohl aktiv als auch passiv möglichst viel Solarenergie nutzen zu können. "Selbst im geförderten Bereich des Wohnbaus wird das Thema Energie immer wichtiger. Bei großvolumigen Wohnbauten kommt immer öfter eine Flächenheizung und -kühlung über die Decke zum Einsatz." Bei einigen Wohnbauträgern werde sich dieses System als Standard etablieren. Lüftungsanlagen werden wegen der Hygienekriterien und des hohen Wartungsaufwands eher kritisch gesehen.

Eine aktuelle Umfrage der Delta-Gruppe zeigt, dass Kunden nachhaltige Aspekte generell wichtig sind. Dazu gehören beispielsweise "Cradle to Cradle" (Kreislaufwirtschaft), Lebenszykluskosten, partnerschaftliche Kulturgestaltung oder Ökobilanz. Kunden würden branchenübergreifend sogar durchschnittlich etwa zehn Prozent mehr für nachhaltige Projekte ausgeben.

Umorientierung bei Baustoffen

Bei der Verwendung der Rohstoffe für den Bau sollte das Bewusstsein gestärkt werden, auf Verbundmaterialien zu verzichten und auf die spätere Trennbarkeit der Baumaterialien zu achten. Auch soll recycelbaren Stoffen der Vorzug gegeben werden. Ein möglicher Ansatz, um den Einsatz von Recyclingmaterial zu erhöhen, ist "Urban Mining" (Stadtschürfung). Dabei werden die Ressourcen moderner Städte genutzt, um eine effiziente Rückgewinnung von Materialien zu gewährleisten. Städte fungieren somit in diesem Konzept als Rohstofflagerstätten, deren bestehende Ressourcen aus Gebäuden und Infrastruktur weiterverwendet werden. ",Urban Mining' ist vor allem aufgekommen, weil der EU klar geworden ist, dass Primärressourcen in Zukunft immer knapper und damit teurer werden", weiß Kradischnig: "Die Bauökologie kommt aufgrund des Preisdrucks im geförderten Wohnbau derzeit noch zu kurz. Die Vorteile von ökologischen Baustoffen wie Holz resultieren jedoch nicht nur in kurzer Bauzeit und hohem Vorfertigungsgrad, sondern auch in einem gesünderen und verbesserten Raumklima."

Lebenslagen berücksichtigen

Wohnbau bedeutet flexible Anpassung an technologische Entwicklungen und geänderte Lebensumstände der Bewohner oder die Zuführung einer gänzlich neuen Nutzung. Vor allem ist die Expertise bei späteren Nachverdichtungen gefragt. Die Forderung des Architekten besteht darin, wertvolle Umnutzungen zu schaffen und in der Lage zu sein, aus Gewerbeflächen oder anderen Gebäudetypen Wohn- und Lebensraum zu erzeugen. "Mischnutzungen mit Wohnungen im Obergeschoß und mit Dienstleistungen wie Kindergärten oder Shops im Erdgeschoß gewinnen zunehmend an Bedeutung", sagt der Architekt. Mit der richtigen Planung entsteht Flexibilität und Lebensqualität durch Barrierefreiheit, Generationen- und Gendergerechtigkeit sowie Chancengleichheit.

Alltagstauglichkeit sei für einen Wohnbau das Um und Auf. Er soll verschiedene Nutzergruppen ansprechen und gleichzeitig soziale Aspekte berücksichtigen. Dies gelinge durch unterschiedliche Wohnformen und vielfältig nutzbare Grundrisse, aber auch durch Außenbereiche wie Grünflächen oder Spielplätze. Fahrrad- und Kinderwagenabstellräume erleichtern den Alltag genauso wie eine mögliche Kombination von Arbeiten und Wohnen, beispielsweise durch wohnungsnah mietbare Arbeitsräume.