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Urbane Zentren sind der Schlüssel

Ein Großteil der Menschheit lebt in Ballungszentren. Stadtentwicklungspolitik eröffnet hier neue Chancen, vor allem in Hinblick auf den Klimaschutz.

Stadtentwicklung ist weltweit eine Herausforderung. Vielerorts gibt es nationale Stadtentwicklungskonzepte.
Stadtentwicklung ist weltweit eine Herausforderung. Vielerorts gibt es nationale Stadtentwicklungskonzepte.

Die Zahl der Menschen wächst, international wie national, vor allem in Ballungsgebieten. Im vergangenen Jahrzehnt haben viele Länder deshalb nationale Stadtentwicklungskonzepte formuliert und umgesetzt. Aber wie gut eignen sich solche Strategien, um der Stadtentwicklungspolitik vor Ort Struktur zu geben und für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen?

Rüdiger Ahrend von der OECD verweist auf die wichtigsten Ergebnisse des aktuellen Berichts "Globaler Stand der nationalen Städtepolitik 2021: Die Ziele für nachhaltige Entwicklung erreichen und den Klimaschutz vorantreiben". Er gibt einen Überblick über Strategien in 162 Ländern und ihre Wirkung auf Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele.

Stadtenwicklungspolitik immer wichtiger: Drei Viertel der Menschen leben in urbanen Gebieten

Infolge der wirtschaftlichen Entwicklung von Ländern nehmen die Urbanisierung und die Konzentration der Bevölkerung in Metropolen zu. Heute leben drei Viertel der Menschen in urbanen Räumen und Gebieten mittlerer Bevölkerungsdichte, knapp die Hälfte in Großstädten, ein Viertel in kleineren Städten. Dies führt laut dem Experten zu wachsenden sozialen Ungleichheiten.

Stadtentwicklungspolitik (SEP) wird daher immer wichtiger. Laut Bericht haben 56 Prozent der 162 Länder eine explizite Stadtentwicklungspolitik, in 62 Prozent sind Maßnahmen in Durchführung und 48 Prozent haben auch einen Klimabezug. Die meisten nationalen SEP (52 Prozent) verfolgen langfristige strategische Ziele und eine bessere Koordination. 67 Prozent nutzen diese Konzepte zur Erreichung sogenannte SDGs (Sustainable Development Goals), 54 Prozent zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens.

Klimawandel und die Pandemie haben urbane Herausforderungen deutlich verstärkt

Beispielsweise sind seit 1970 die Kühlgradtage (Tage mit mehr als 22 Grad Außentemperatur) in OECD-Städten um fast 25 Prozent angestiegen. Die Städte können die gewachsenen Herausforderungen nicht allein bewältigen. Unterstützung durch nationale Stadtentwicklungspolitiken ist notwendig.

Die derzeit größten Herausforderungen für den Einbezug von Klimazielen in nationale Stadtentwicklungspolitiken sind fehlende Expertise, fehlende Abstimmungsmöglichkeiten zwischen Ministerien und zwischen Regierungsebenen sowie Personal- und Budgetmangel. Die OECD-Studie gibt zehn Handlungsempfehlungen, darunter die Berücksichtigung von alternativen Finanzierungsmöglichkeiten, die Einbeziehung lokaler und regionaler Entscheidungsträger, die Einbindung von vielfältigen und innovativen umweltpolitischen Instrumenten und die Anpassung der Ziele und Indikatoren an die SDGs.

Stadtentwicklungspolitik nicht nur Instrument des Klimaschutzes

Carl Philipp Schuck vom deutschen Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen weist für Deutschland darauf hin, dass die dortigen Stadtentwicklungskonzepte auf Grundlage der sogenannten Leipzig-Charta entwickelt wurden, die den Klimaschutz als wesentlichen Faktor beinhaltet. Die "Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt" (2007) und ihre Fortschreibung als "Neue Leipzig-Charta" (2020) seien die Leitdokumente für die nationale Stadtentwicklungspolitik. "Wir sehen Stadtentwicklungspolitik aber nicht nur als Instrument des Klimaschutzes, es gibt auch noch andere Prioritäten", sagt Schuck.

Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag fordert vor allem die Einbindung der Kommunen ein. "Die Frage ist: Wo stehen wir wirklich mit den Städten?" Jedenfalls sei ein urbanes Leitbild wichtig.

Für Rene Peter Hohmann von der Cities Alliance ist die Einbindung des Klimaschutzes ganz zentral, denn städtische Gebiete seien für drei Viertel des CO2-Ausstoßes verantwortlich und dieser Anteil werde noch steigen. "Und zwar auf 90 Prozent bis 2050, wenn wir die derzeit verwendeten Technologien weiterhin anwenden."

„Stadtentwicklungspolitik geht nur, wenn die Städte selbst dazu beitragen.“
Carl Philipp Schuck, Ministerium für Stadtentwicklung

Wichtig sei der überregionale Blick, sagt Schuck. Es brauche nationale Stadtentwicklungskonzepte, auf die dann internationale aufsetzen könnten. "Wir werden mit anderen Ländern sprechen und versprechen uns davon vor allem viele Ideen und Programme, die für uns wichtig sind." So gebe es schon jetzt einen intensiven Austausch zwischen Deutschland und den Niederlanden, auch mit den USA, wo es allerdings keinen nationalen Stadtentwicklungsplan gebe. Brasilien hingegen habe hier viel Neues umgesetzt, das sich stark an den SDGs orientiert. Schuck: "Stadtentwicklungspolitik geht nur, wenn die Städte selbst dazu beitragen und Austausch untereinander betreiben."

Interessant ist für den Experten, dass der Globale Süden ein starkes Bekenntnis zur Stadtentwicklung abgegeben habe, das sei früher anders gewesen. "Dort geht man heute viel offener mit dem Thema um als bei uns." So stoße in Deutschland das Thema Nachverdichtung oft auf Widerstand.

Ganz wesentlich bei der Umsetzung ist jedenfalls die Frage nach dem Geld. Laut Schuck haben viele Gegenden nur die Chance, dies über Kredite zu finanzieren, denn Förderungen und Zuschüsse sind oft zu wenig. Auch Lojewski sieht hier in erster Linie ein Zuschussgeschäft: "Man darf nicht an solche Projekte herangehen und zuerst fragen, ob sich das auch rentiert." In der Realität sei es dann aber oft so, dass ein Euro aus öffentlichem Geld sieben bis acht Euro an privatem auslöse.

Das viele Geld für die nötige Infrastruktur wie Verkehr, Wasser oder Schulen trägt dann Früchte, wenn man es an die richtige Stelle bringt. Eine Investition in den Nahverkehr rechnet sich zwar nicht allein, aber es kann zu einem Aufkeimen und unglaublicher Entwicklung rund um die Stationen kommen. Gerade kleinere Städte hätten hier aber nicht viele Möglichkeiten. Ein Vorschlag zur Lösung wäre eine eigene Entwicklungsbank, die verhindert, dass in diesen kommunalen Haushalten finanzielle Löcher entstehen.

„One fits all ist in der Stadtentwicklung nicht die Lösung.“
Hilmar von Lojewski, Deutscher Städtetag

So etwas wäre laut Lojewski auch in Deutschland extrem spannend. Land Value Factoring, also Bodenwertabschöpfung, gibt es schon im Süden, hierzulande sei man aber politisch noch nicht so weit. Dabei wird der Bodenwert abgeschöpft und in die richtigen Töpfe im Sinn der Allgemeinheit umgeleitet. Doch die, die zahlen sollen, wollen das natürlich vermeiden.

Lojewski warnt jedenfalls davor, Stadtentwicklungspolitik mit vermeintlichen "Patentrezepten " zu betreiben: "One fits all ist nicht die Lösung. Nur wenn man den Kommunen die Ressourcen in die Hand gibt, dann wird auch etwas draus."