SN.AT / Leben / Wohnen

Urban Mining: Wenn der Bauschutt zum Wertstoff wird

Weltweit werden viele Rohstoffe immer knapper, die Abfallberge hingegen immer größer. Beim "Urban Mining" werden wiederverwertbare Bauabfälle "geschürft" und werterhaltend wiederverwendet.

Zweites Leben für Baustoffe durch verwertungsorientierten Rückbau.
Zweites Leben für Baustoffe durch verwertungsorientierten Rückbau.

Im Jahr 2009 sorgte der Harvard-Physiker Alex Wissner-Gross mit einer Hochrechnung für große Aufregung: Eine einzige Google-Suchanfrage, so seine Behauptung, verbrauche ebenso viel Energie wie das Erhitzen von Wasser für eine Tasse Tee. Unabhängig davon, ob Wissner-Gross mit seiner Berechnung richtiglag oder nicht - über diese Annahme wird bis heute hitzig diskutiert -, wurde durch seinen Teewasservergleich ein Sachverhalt recht deutlich gemacht: Alle, auch die marginalsten, digitalen Handlungen hinterlassen Spuren in unserer Umwelt, benötigen Energie und verbrauchen Ressourcen. So fordert der aufwendige Lebensstil, der in den westlichen Industrienationen praktiziert wird, einen immer höheren Tribut. Je mehr Güter und Leistungen wir beanspruchen und konsumieren, desto knapper werden unsere Ressourcen.

Der "Welterschöpfungstag"

Der "Earth Overshoot Day", zu Deutsch "Welterschöpfungstag", markiert in diesem Zusammenhang ein besorgniserregendes Datum. An diesem Tag in jedem Jahr überschreitet die globale Nachfrage nach Ressourcen die Fähigkeit der Erde, diese nachwachsend zur Verfügung zu stellen. Im Jahr 2020 fiel dieser Tag - coronabedingt - auf den 22. August, ein Jahr zuvor waren bereits am 19. Juni alle Rohstoffe des selben Jahres "aufgebraucht".

Woher sollen die begehrten Materialien und Güter in Zukunft kommen?

Eine Lösung aus dem Dilemma könnte mit dem Konzept des "Urban Mining" gefunden sein. Anders als das traditionelle Recycling richtet das Urban Mining seinen Blick auf Kreisläufe und entdeckt vor allem Städte als wertvolle Rohstofflager. Ganz neu ist diese Idee übrigens nicht: Schon 1969 verfasste die Stadtforscherin Jane Jacobs das Buch "The Economy of Cities", in dem sie darauf hinwies, dass Großstädte ergiebige Rohstoffminen seien. Jacobs war mit dieser Meinung ihrer Zeit weit voraus, der Wert ihrer Ideen wurde damals noch kaum erkannt.

Dass Wiederverwertung und Kreislaufwirtschaft notwendig und wichtig sind, wird heute von niemandem mehr infrage gestellt. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade Urban Mining rückt zunehmend stärker in den Blickpunkt von Lehre und Forschung und in den Fokus innovativer städtebaulicher Projekte.

Zweites Leben für Bauteile

Ein Best-Practice-Beispiel für nachhaltiges Bauen, soziale Kreislaufwirtschaft und intelligente Ressourcennutzung wurde 2019 von der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) in einer Kooperation mit dem Unternehmen BauKarusell in Wien-Alsergrund auf den Weg gebracht. Bevor hier mit dem Neubau des Med-Uni-Campus begonnen wurde, wurden 140 Tonnen wiederverwertbares Material aus dem Bestandsgebäude gesichert und verwertet. Das Gebäude barg wahre Schätze: 60 Tonnen an Bauteilen und Gegenständen - von Schwerlastregalen über Treppenhandläufe bis zu Vintage-Uhren - wurden von BauKarussell über einen Bauteilkatalog vermittelt und von den Abnehmern in neuen Projekten wieder zum Einsatz gebracht. Der soziale Mehrwert: Mit dem Rückbauprojekt konnten auch integrative Arbeitsplätze geschaffen werden. Auch bei einem Projekt der Austrian Real Estate, dem "Village im Dritten", wurde der Altgebäudebestand zunächst werterhaltend rückgebaut, bevor die Errichtung des elf Hektar großen Wohnquartiers in Angriff genommen wurde. Auf dem ehemaligen Eurogate-Areal gelang es zwischen September und Dezember 2020 rund 50 Tonnen verwertbares Material aus dem Bestand zu gewinnen.

Die größte Wirkung wurde im Bereich "Re-Use" erzielt

Durch die Vermittlung von beinahe 100 Fensterelementen und Betonsteinfliesen konnten 27.700 Kilogramm wiederverwendbarer Bauteile an Abnehmer gebracht werden. So fanden die alten Betonsteinfliesen zu einem zweiten Leben in einem Betrieb im Waldviertel, die Fensterelemente wurden bei einem Hallenneubau wieder zum Einsatz gebracht.