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"Rivus"-Projekt in Wien: Aus vier mach eins

In Wien entstand ein Gebäude mit vier Nutzungsebenen. "Rivus" sieht sich als Vorzeigeprojekt gegen Flächenverschwendung.

„Rivus“ ist ein multifunktionaler Baukörper mit einer horizontalen Schichtung von vier Nutzungen.
„Rivus“ ist ein multifunktionaler Baukörper mit einer horizontalen Schichtung von vier Nutzungen.
Das Projekt sieht sich als Vorreiter einer neuen Städteplanung in Österreich.
Das Projekt sieht sich als Vorreiter einer neuen Städteplanung in Österreich.

Stadtentwicklung ist ein Thema, das die Gesellschaft - anders als in den vergangenen Jahrzehnten - massiv wird beschäftigen müssen. Zu offensichtlich sind die enormen negativen Auswirkungen etwa der Vorstädte unter anderem auf den Klimaschutz, das Verkehrsaufkommen, den Flächenverbrauch und die Schönheit der Städte. Von allen laufenden Krisen in der aktuellen Zeitenwende müsse wohl vorrangig die Klimakrise "unsere Städte neu denken lassen", meint Architekt Peter Lorenz. Er hat als Teil des Gesamtprojekts "Rivus" in der Breitenfurter Straße in Wien-Liesing der Buwog einen vorausschauenden, multifunktionalen Baukörper mit horizontaler Schichtung von vier Nutzungen entworfen.

Parkdeck, Lebensmittelmarkt, Volksschule und Freiflächen auf dem Dach

Er besteht aus einem halbversenkten Parkdeck, einem Lebensmittelmarkt, einer 17-klassigen öffentlichen Volksschule und Freiflächen auf dem Dach. In der städtebaulichen Vergangenheit hätte das vier Grundstücke beansprucht. Dieses besondere Bauwerk wurde kürzlich mit dem BigSEE Award in der Kategorie Architektur ausgezeichnet. Der BigSEE Award prämiert jährlich die besten Projekte in der Region südöstliches Europa in den Kategorien Architektur, Interior, Product, Fashion, Wood und Tourismus-Design. Schon im Frühjahr 2022 wurde das Projekt mit dem International Property Award in der Kategorie Public Service Development europaweit gewürdigt.

"Der BigSEE Award ist eine große Anerkennung für unser städtisches Engagement", sagt der Architekt. "Die Zeit von der Entwicklung bis zur Eröffnung beziehungsweise Realisierung hat mehrere Jahre in Anspruch genommen und war durch den innovativen Charakter für alle Projektbeteiligten eine enorme Herausforderung - allen voran für den Bauträger Buwog, aber auch die Stadtpolitik, die Planungsbehörden, die Nutzer und natürlich die Architekten selbst."

Andreas Holler, Geschäftsführer der Buwog Group GmbH, ergänzt: "Österreich ist der wenig ruhmhafte Europameister in puncto Flächenverbrauch. Täglich werden hierzulande Flächen im Ausmaß von mehr als zwölf Fußballfeldern verbaut. Das ist sechs Mal so viel, wie die jeweilige Bundesregierung seit mehr als 20 Jahren als Obergrenze vorgibt. Wir befinden uns also in einer Situation, in der Umdenken keine Option mehr ist, sondern eine Notwendigkeit."

"Drama der Vorstädte"geht auf die Charta von Athen 1933 zurück

Die weltweit "krebsartig" gewachsenen Vorstädte gingen städtebaulich gesehen auf die Charta von Athen 1933 zurück - eine Reaktion auf die großen Umweltprobleme der städtischen Industrialisierung im 19. Jahrhundert, erklärt Peter Lorenz. Man habe damals das Heil in der Trennung von Funktionen gesucht, die zusammen mit der autogerechten Stadt der 50er-Jahre das heutige "Drama der Vorstädte" begründet habe.

Es hätten zwar im Gegensatz dazu schon seit den 1950er-Jahren alternative Stadtvorstellungen bestanden, durchgesetzt habe sich trotz allem aber die heute so beklagenswerte Trennung. "Seit Ende der 60er-Jahre haben wir in ganz Europa die historischen Stadtkerne mit strengen Auflagen zu bewahren gelernt und das Auto immer mehr verbannt. Währenddessen sind die Außenbezirke überall dem Wildwuchs außerhalb jeder Planung überlassen worden. Auch wenn es gerade in Wien beeindruckende Neukonzeptionen gibt, entsetzt uns alle landesweit ein Mischmasch aus Einfamilienhauswüsten, Gewerbegebieten mit Tankstellen, Möbel-/Lagerhäusern, Einkaufszentren und was auch immer in der Innenstadt keinen Platz mehr findet."

Nach einer Novellierung des Verfassungsrechts im Jahr 1962 sei den Gemeinden die Planungshoheit über die Raumordnung überlassen worden. "Das wirkt sich in den größeren, planungskompetenten Städten anders aus als in den überforderten Landgemeinden mit einem politischen Beziehungsgeflecht", kritisiert der Experte. "Unsere Stadterweiterungen sind flächenmäßig viel zu groß", fügt Holler hinzu. Dies habe dazu geführt, dass der Verkehr sich verstärkt und Distanzen sich erhöht hätten. "Man muss sich anschauen: Wo wohnen die Menschen und wo arbeiten sie? Wenn diese Distanz zu groß wird, kommt es zu Problemen, die wir seit einigen Jahren in vielen Städten beobachten können."

Umdenken in der Raumordnung hat Auswirkungen auf den Klimatschutz

Peter Lorenz fordert ein Umdenken, auch wegen der unterschätzten Auswirkung auf den Klimaschutz: "Gewerbegebiete dürfen nicht mehr monofunktional genutzt sein, sondern müssen urbanisiert werden." Dies schließe höhere Dichten, innerstädtische Bauhöhen und Nutzungsmischungen wie im Kerngebiet mit ein. "Angesichts der massiven Flächenverschwendung sollte man Gewerbeflächen besser nutzen und Flächen für Bildung, Kultur, Sport und vor allem Wohnungen und sogar Außenanlagen etc. horizontal aufeinanderschichten."

Diese zeitgemäße Haltung entspräche auch dem EU-Ziel des Netto-null-Flächenverbrauchs bis 2050. Dafür sollten sich die Mitgliedsstaaten bis 2023 eigene ehrgeizige nationale, regionale und lokale Ziele für die Verringerung des Netto-Flächenverbrauchs für 2030 stecken und die Flächenverbrauchshierarchie "Vermeiden - Wiederverwenden - Minimieren - Ausgleichen" anwenden, anstatt weitere Natur- oder Agrarflächen zu versiegeln. "Der große Umbruch muss allerdings schon viel früher stattfinden", betont Lorenz, "denn wir werden es uns nicht so lang leisten können, weiterzumachen wie bisher." Dies zeichne sich bereits jetzt in den steigenden Baukosten ab. "Allein aus wirtschaftlichen Gründen wird man sich überlegen müssen, wie Projekte in Zukunft gebaut werden können und wie man zum Beispiel auf Lagerhallen Wohnungen aufsetzen kann."

"Rivus" ist Pilot- und Vorzeigeprojekt

Mit dem "Rivus"-Projekt habe man ein Pilot- und Vorzeigeprojekt entwickelt, das auch für die Stadt Wien ein Renommierbau sei. Holler: "Wir haben hier gemeinsam mit dem Architekten ein europäisches Avantgardeprojekt in Österreich geschaffen, dessen Besonderheit nicht allein in der Architektur liegt, sondern vielmehr in der städtebaulichen Pionierleistung." Lorenz hält fest, es sei selbstverständlich, dass die Umsetzung eines so zukunftsweisenden Projekts auch mit enormen Herausforderungen für alle Beteiligten verbunden sei. "Einerseits bestanden der Wunsch und die Bereitschaft der Stadt, der Buwog und natürlich auch von uns, die Liegenschaft innovativ zu entwickeln. Andererseits erzeugen innovative Projekte immer Widerstand, Diskussion und Reibung - doch das ist auch wichtig, denn nur so kann etwas Neues entstehen."