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Metropolen sind die Zukunft

Die Urbanisierung ist ein weltweites Phänomen mit riesigen Herausforderungen. Gerade die Entwicklung in Afrika sollte für Europa von größtem Interesse sein. China ist dort bereits präsent.

Dar-es-Salaam in Tansania wächst täglich um 1000 Einwohner. Die Stadt liegt am Meer und ist damit auch vom Klimawandel besonders betroffen.
Dar-es-Salaam in Tansania wächst täglich um 1000 Einwohner. Die Stadt liegt am Meer und ist damit auch vom Klimawandel besonders betroffen.

Städte ziehen Menschen vor allem wegen der dort angebotenen Berufs- und Bildungschancen an. In Europa und anderen OECD-Ländern sind sie mit hochproduktiven und gut bezahlten Arbeitsplätzen sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen häufig Motor von Innovation und wirtschaftlicher Entwicklung. Doch das ist kein Automatismus. Es erfordert auch Verkehrs- und Immobilieninfrastruktur, die attraktive Lebensbedingungen ebenso wie produktives und nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen. Gelingt es nicht, der Bevölkerung in Afrika ebenfalls Zugang zu guter Infrastruktur und Dienstleistungen in den Städten des Kontinents zu bieten, dann werden sich weiter viele Menschen entscheiden, ihr Glück in Europa zu suchen; sie verändern damit die Urbanisierungsprozesse dort. Nachhaltige Stadtentwicklung ist also eine Kernherausforderung des 21. Jahrhunderts. Für Europa ist Urbanisierung jenseits der eigenen Grenzen von immenser Bedeutung, denn sie ist direkt mit anderen komplexen Herausforderungen wie Migration und Klimawandel verbunden.

Die Bevölkerung zieht es in die Großstadt

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Schon jetzt leben weltweit 48 Prozent der Bevölkerung in Großstädten, 28 Prozent in kleinen und mittleren Städten und 24 Prozent in ländlichen Gebieten. "Die Bevölkerung in den Großstädten wird sich innerhalb von 40 Jahren fast verdoppeln", erwartet Rüdiger Ahrend von der OECD in Berlin: "2015 lebten 3,5 Milliarden Menschen in Großstädten, 2050 werden es mehr als fünf Milliarden sein." Der Zuwachs würde 300 Mal Berlin oder 150 Mal Paris entsprechen. Dann wird der Anteil der Weltbevölkerung, die in Großstädten lebt, auf 55 Prozent angewachsen sein.
Grundsätzlich gebe es derzeit mehr Großstädte in reichen Ländern, 70 Prozent der Metropolregionen, also der Städte inklusive der Pendlerräume, seien in reicheren Ländern zu finden, so Ahrend. Metropolen wüchsen weltweit am schnellsten. "Grundsätzlich werden Städte in Regionen mit geringerem Einkommen aber größer, während viele in den reicheren Ländern schon wieder schrumpfen", sagt Ahrend. Derzeit werde ein Fünftel der Metropolen weltweit kleiner, 2050 werde ein Drittel schrumpfen.

Gründe für den Zuwachs - Urbanisierung in Afrika

Die simple Begründung, dass die Menschen eben vom Land in die Stadt ziehen, lässt der Experte nicht gelten. Neben einem allgemeinen Zuzug ist auch die Geburtenrate ausschlaggebend, besonders in Afrika. Gerade dort wachsen auch nicht alle Städte. Ein Grund für den Zuzug in die Großstädte weltweit ist die dortige Lebensqualität. Ahrend: "19 Prozent der Bewohner von Großstädten sind damit zufrieden, 17 Prozent in Kleinstädten und 16 Prozent in ländlichen Gebieten." Eine Ausnahme biete hier etwa Deutschland, weil auch die ländlichen Regionen sehr gut ausgebaut seien. In Afrika sei die medizinische Versorgung etwa für Frauen in ländlichen Gebieten hingegen viel zu weit weg. Auch die Versorgung mit Strom und Trinkwasser sei südlich der Sahelzone in viel geringerem Ausmaß gegeben, das betrifft auch den Internetanschluss.
Innerhalb der Großstädte sinkt die Bevölkerungsdichte, je wohlhabender die Menschen sind. Ein Problem der großen Städte sind auch die Pendlerzonen. In vielen Regionen Afrikas gebe es im Umkreis von 500 Metern Radius keine Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel. In Europa können hingegen 85 Prozent der Menschen auf so eine Öffi-Nähe vertrauen.

Was ebenfalls stark auf die Lebensqualität der Menschen durchschlägt, ist die Luftverschmutzung, vor allem durch Feinstaub. Die Belastung ist in Afrika sechs Mal höher, als die Richtwerte der WHO vorgeben, in Europa sind viele Regionen im grünen Bereich, liegen also weit unter den Richtwerten bzw. im gelben Sektor. Afrika ist dagegen tiefrot. Aber dort wachsen die Großstädte um fünf Prozent pro Jahr, das entspricht einer Verdoppelung innerhalb von 15 Jahren. Solche Entwicklungen würden selbst im wohlhabenden Europa nicht klappen, sagt Ahrend. Und über allem schwebt das Thema Klimawandel, der die afrikanischen Städte, vor allem die Küstenstädte, wesentlich stärker treffen wird.

Die nötige Infrastruktur in Afrika müsse jetzt geschaffen werden. "Infrastruktur ist sehr langlebig, auch bei der Planung. Paris profitiert heute noch von Entscheidungen von vor 200 Jahren und viele Verkehrswege in Europa gehen sogar auf die Römer zurück", sagt der Experte.

Großstädte als Machtfaktor

Christoph Matschie, SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag, beschäftigt sich schon lange mit dem Thema der Urbanisierung, vor allem mit Fokus Afrika. "Urbanisierung hat eine enorme politische Dimension. Die Verstädterung verändert das Zusammenleben und die politische Dynamik. Großstädte werden auch immer mehr zu einem Machtfaktor." Er ist der Meinung, dass der Faktor Urbanisierung in Afrika viel mehr Aufmerksamkeit in Europa verlangt. "Afrika ist deshalb spannend, weil es unser Nachbarkontinent ist und es direkte Rückwirkungen auf Europa gibt", sagt Matschie. Derzeit habe Afrika 1,3 Milliarden Einwohner, 2050 werden es 2,4 bis 2,5 Milliarden sein, das ist dann ein Viertel der Menschheit. "20 der 30 am schnellsten wachsenden Städte befinden sich in Afrika", weiß der deutsche Abgeordnete.

Das Wachstum erfolgt ungeplant

Dar-es-Salaam in Tansania etwa wachse täglich um 1000 Menschen, welche Probleme sich daraus ergäben, könne man nur erahnen. In 30 Jahren würden 1,3 Milliarden Afrikaner in Städten leben, derzeit seien es 600 Millionen. Das Problem dort: Die Urbanisierung werde nicht von einer Industrialisierung begleitet, wie das in Europa, Amerika oder Asien der Fall gewesen sei. Das münde in eine wirtschaftliche Abwärtsspirale ohne Arbeitsplätze, Wohlstand und Infrastruktur. Matschie: "Das Wachstum erfolgt in der Regel ungeplant, die Hälfte in Slums. Deshalb schafft die Urbanisierung wenig Vorteile, ganz anders als in Europa. Der Großteil der städtischen Infrastruktur in Afrika ist noch nicht da!"

Bewältigung dieser Entwicklung

Dadurch ergeben sich politische und soziale Brennpunkte, auch wenn die Urbanisierung durchaus auch Vorteile bietet. So verringern sich im städtischen Bereich etwa ethnische Konflikte. Bleibt also die Frage, wie diese Entwicklung bewältigt werden kann? Da geht es nicht nur um viel Geld, das oft nicht da ist, sondern auch um Know-how, wobei Europa gerade hier einen wichtigen Beitrag leisten könnte. Finanziell haben die Städte aus oben genannten Gründen einfach nicht die Mittel, um Infrastruktur und Stadtentwicklung auf die Beine zu stellen. Europa könnte Partnerschaften im Bereich Energie und Infrastruktur anbieten, schlägt der Abgeordnete vor: "Weil das Thema aber bei uns zu wenig im Fokus steht, dringt etwa China in diese Lücken vor und baut seinen Einfluss aus." Wenn das verhindert werden soll, müsste Europa größtes Interesse an der Entwicklung und vor allem Urbanisierung Afrikas haben, weil damit auch der eigene Kontinent direkt damit verbunden ist.

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