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Mehr Nachhaltigkeit im Bausektor - "Es wird mehr kosten müssen"

Bis zu 50 Prozent der CO2-Emissionen stammen aus dem Bausektor. Höchste Zeit, hier etwas zu ändern, findet der Grazer Architekt Guido Strohecker. Mit einem Kollegen hat er den Verein Architects4Climate gegründet. Man will eine starke Stimme gegen Bausünden und für mehr Nachhaltigkeit im Bausektor werden.

Mit seinem nachhaltigen Modulhaus aus Holz, der Villa Voon, ließ Guido Strohecker aufhorchen. Er orientierte sich dabei an alten Bauweisen sowie Handwerkstätigkeiten.
Mit seinem nachhaltigen Modulhaus aus Holz, der Villa Voon, ließ Guido Strohecker aufhorchen. Er orientierte sich dabei an alten Bauweisen sowie Handwerkstätigkeiten.

Die EU legt ja mit der Initiative "Neues Europäisches Bauhaus" einen Grundstein für die Bauwirtschaft. Künftig sollen Nachhaltigkeit, Ästhetik und Inklusivität zentrale Werte der europäischen Baukultur darstellen. Auch Guido Strohecker schlägt in eine ähnliche Kerbe, gemeinsam mit dem Architekten Ernst Rainer hat er den Verein Architects4Climate gegründet, um die eigene Branche zu mehr Nachhaltigkeit und Verantwortung aufzufordern.

Man zieht in Städten Betonfassaden hoch, die sich im Sommer auf bis zu 65 Grad aufheizen, wir versiegeln zu viel Boden, es wird vielfach gebaut, weil Investoren Geld verdienen wollen. Nachhaltigkeit ist nicht im Spiel. Obwohl das Klima schon verrücktspielt, warum passiert da nichts? Guido Strohecker: Weil noch zu wenig Druck da ist. Deshalb haben wir den Verein Architects4Climate gegründet. Es gibt schon viele Gruppen, die sich für nachhaltige Architektur einsetzen, vor allem Junge machen Druck. Von selbst passiert nichts. Normen werden in Österreich von der Wirtschaft gemacht, quasi: Wenn es mehr Einnahmen braucht, gibt es eine neue Wärmedämmverordnung, mit der dickere Dämmstärken vorgeschrieben sind. Dann geht es weiter mit Überdämmung, Be- und Entlüftungsproblemen beziehungsweise Schimmel. Wir gehen in die falsche Richtung. Warum funktioniert Altbau? Weil der Ziegel für eine natürliche Be- und Entlüftung sorgt. Uns sind die natürlichen Bauweisen verloren gegangen. Wir zeigen das mit unserer Villa Voon, in der wir über Jahrhunderte gewachsene Baumaterialien und Handwerk einsetzen und das neu interpretieren.

Vieles von damals wäre gut geeignet, um die Klimaziele zu erreichen.
Vieles von damals wäre gut geeignet, um die Klimaziele zu erreichen.

Ist das aber nicht auch eine Kostenfrage? Strohecker: Ja, aber die Tatsache, dass wir nicht nachhaltig bauen, wird uns irgendwann überholen. Was kostet uns mehr: Die Folgen, die Wind, Wetter und Klimabedingungen uns vorgeben, oder das, was wir aktiv besser machen? Das müssen wir in den Griff bekommen und es wird mehr kosten müssen.

Die private Familie wird das aber nicht zahlen können! Strohecker: Die wird das nicht schaffen. Das ist schon Aufgabe des Gesetzgebers, hier für maßgebliche Änderungen zu sorgen. Immerhin stammen 40 bis 50 Prozent der CO2-Emissionen aus dem Bausektor, angefangen von dem ganzen Baumaterial auf Erdölbasis bis hin zu den Transporten zur Baustelle. Es braucht eine überarbeitete Klimabilanz und neue Bewertungen für das Bauen. Nehmen wir den "guten" Baustoff Holz. Wenn für ein Holzhochhaus in einer Großstadt das Material Hunderte Kilometer transportiert werden muss und noch dazu der Rohstoff mit anderem Material vermischt wird und nicht mehr als reiner Rohstoff entsorgt werden kann, stimmt das Nachhaltigkeitsargument nicht mehr. Gerade beim Baumaterial hat leider die Forschung nicht in Richtung Ökologie gearbeitet.

Was genau will Architects4Climate erreichen? Strohecker: Was aktuell in Österreichs Städten gebaut wird, hat mit Architektur wenig zu tun. Dazu kommt eine verschulte und oft zu kurze Ausbildung, Stichwort Bachelor. Architektur ist viel mehr als nur Pläne zeichnen. Ernst Rainer und ich, die Gründer, wollen eine Art Gütesiegel einrichten, mit dem sich Architektinnen und Architekten verpflichten, nach unseren maßgeblichen sieben Punkten (siehe Kasten) zu arbeiten, zu beraten und zu planen. Wir wollen weitergeben, was wir wissen. Wir orientieren uns oft an alten Bauweisen (hievt ein dickes Buch mit dem Titel "Habitat - Regionale Bauweisen und globale Klimazonen" auf den Tisch). Auf den Lehmhäusern in Marokko steht immer etwas Wasser, das dient der Abkühlung. Auf die Wäscheleinen in Sizilien hängt man dafür nasse Handtücher, was zeigt, dass Beschattung vom Prinzip her mit einfachen Mitteln möglich ist. Oder in Südeuropa, wo tiefe Vorsprünge bei Fenstern als Sonnenschutz dienen oder helle Fassaden die Hitze besser abstrahlen. In Sachen Nachhaltigkeit ist alles schon da, es muss nur wiederentdeckt werden.

"„Uns sind die natürlichen Bauweisen verloren gegangen. Wir zeigen das mit unserer Villa Voon, in der wir über Jahrhunderte gewachsene Baumaterialien und Handwerk einsetzen und das neu interpretieren.“"
Guido Strohecker, Architects4Climate

Man weiß schon lange, dass Energieausweise für Gebäude nicht wirklich aussagekräftig sind, unter anderem, weil sie die graue Energie nicht einberechnen, also alle Emissionen, die während des Lebenszyklus eines Gebäudes entstehen. Warum passiert da nichts? Strohecker: Weil wir zwar die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und "Um Gottes willen, das Klima!" rufen, aber nichts tun. Es braucht neue Bedingungen für Ausschreibungen, es braucht Medien, die darüber berichten und aufwecken, damit die Branche, die für die Hälfte der CO2-Emissionen verantwortlich ist, aufwacht und vieles von sich aus umwälzt. Der Energieausweis ist ein Marketinggag, ein Kühlschrankpickerl. Für unsere Villa Voon, die dank natürlicher Materialien bestens gedämmt ist, erhalte ich nicht die beste Einstufung im Energieausweis mit dem Argument, dass ich die nötige Mauerstärke nicht erreiche. Ich müsste zusätzlich dämmen, das ist doch Schwachsinn!

„Unser Ziel ist, Holz so zu behandeln, wie es in der Natur vorkommt, also pur“ – wie in dem leim- und metallfreien Modul-Fertigteilhaus.
„Unser Ziel ist, Holz so zu behandeln, wie es in der Natur vorkommt, also pur“ – wie in dem leim- und metallfreien Modul-Fertigteilhaus.

Wie sieht es aus mit neuen Bauweisen? Strohecker: Es gibt neue Technologien - Stichwort Hausbau mit dem 3D-Drucker -, mit denen effizienter, ressourcenschonender, günstiger und schneller gebaut werden kann. Wir haben vor, Forschungshäuser zu entwickeln mit Investoren, Förderungen und technischen Hochschulen. Und mit neuen Materialien, dem CLS-Zement beispielsweise, der 200 Grad weniger Brandtemperatur braucht. Wir müssen aber nicht nur an neuen Materialien forschen, sondern überhaupt experimenteller, Lehmbauten aus dem 3D-Drucker etwa, mit einem Rohstoff, der vor Ort verfügbar ist. Die Baustoffe sind dabei ein großes Thema, hier braucht es Vorgaben bis hin zur Ächtung gewisser Materialien, dort, wo es nachhaltigen Ersatz gibt. Styropor ist so ein Beispiel. Am Ende des Lebenszyklus ist eine mit diesem Dämmstoff beklebte Mauer Sondermüll.

Wem soll künftig nun die Entscheidung, wie gebaut werden soll, obliegen: dem Individuum oder dem Gesetzgeber? Strohecker: Als Laie ist man auf Fachinformationen angewiesen. Und hier muss klar sein, dass diese Info nicht aus dem Bereich Verkauf kommen kann, sondern von uns Architekten. Klar haben wir ein Interesse, an Planungen zu kommen, aber wir sind auch die, die fachgerichtet und neutral beraten können, weil wir nicht an irgendwelche Interessen gebunden sind. Unser langfristiges Ziel als Verein Architects4Climate ist es, an vielen Standorten gut informieren zu können. Natürlich brauchen wir im Hintergrund den Gesetzgeber, der gewisse Stoffe verbannt und das gegen die bestehende Bauwirtschaft durchsetzt. Wir Architekten sind maßgeblich verantwortlich, wie unsere Welt aussieht. Und wir sind eine der Gruppen, die führend vorangehen müssen, um die Welt um ein Grad zu drehen. Aber auch die Politik ist angehalten, rasch zu reagieren und neue Bewertungskriterien, etwa bei der sogenannten grauen Energie, zu schaffen. Und schließlich muss auch in der Ausbildung wieder umgedacht werden, damit Architekten mit ihrem Know-how - wie vor 20 Jahren - an der Spitze von Bau- und sogar Städteplanung stehen.

2022 werden die ersten drei Villen gebaut.
2022 werden die ersten drei Villen gebaut.

Sieben Punkte der Nachhaltigkeit

Sonne: Es geht darum, einen neuen Zugang im Bereich Sonnenschutz zu schaffen. Allzu oft noch werden Materialien aufgetragen, die nicht UV-beständig sind oder sich zu stark aufheizen. Als Gegenmaßnahme gibt es etwa schaltbare Gläser, die sich abdunkeln lassen, oder man setzt auf moderne Gebäudetechnik, die Heizung und Lüftung effizienter macht.

Wind: Wie baut man, dass beispielsweise in der Stadt Frischluftspülungen möglich sind? In der Seestadt Aspern in der Bundeshauptstadt Wien wird laut Guido Strohecker praktisch gezeigt,
wie das funktionieren kann. Es geht bei einer Planung immer auch darum, mit der richtigen Bauweise ein optimales Mikroklima zu schaffen.

Temperatur: In Lustenau steht mit dem Büro 2226 ein Gebäude, das ohne Heizung auskommt. Dabei wird die Abwärme der Menschen, Geräte und der Beleuchtung genutzt und die Kaminwirkung für das Lüftungssystem. Extradicke Wände sorgen dafür, dass das alles möglich ist. "Doch dafür bräuchte es Förderungen, damit solche Projekte großflächig ausgerollt werden können", betont Guido Strohecker.

Feuchtigkeit: Vom Kühlspeicher über Wasserfassaden bis zu kleinen Feuchtraumzonen: Feuchtigkeit lässt sich gut zum Kühlen einsetzen. In Süditalien hängen in den Straßen nasse Handtücher, deren Verdunstung Kühle spendet. Zeitgemäß gelöst werden kann das durch Sprühnebelanlagen, wie sie in vielen Städten bereits umgesetzt wurden.

Vegetation: Grün in Städten ist oft nur eine Dekoration, findet Architekt Strohecker. Zu viele Bäume haben zu wenig Wurzelraum zum Wachsen, es fehlt zudem die unterirdische Verbindung der Bäume untereinander, die für das Wachstum wichtig ist. Fragwürdig seien auch manch begrünte Fassaden mit Pflanzen, die für ein Wachsen an der Fassade nicht geeignet sind, findet Strohecker. Begrünung müsse stets aus städteplanerischer Sicht erfolgen, also umfassender.

Bauform: Wie müssen Gebäude angeordnet werden, damit eine gute Be- und Entlüftung stattfindet? Wie müssen sie überhaupt geschaffen sein? "Wir Menschen haben ja auch keine Ecken und sind amorph. Das gilt auch für Architektur", sagt der Grazer Architekt.

Baustoffe: Hier wird das RRE-Prinzip befolgt: Reduktion, Regionalität und (graue) Energie. Letztere ist eine der wichtigsten Maßeinheiten und wenigen ein Begriff: Sie subsumiert alles, was den Bau eines Hauses betrifft: vom Transport bis hin zum Recyceln eines Hauses. Nur wenn man das alles einrechnet, kann man ein Gebäude richtig ökologisch bewerten.