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Immobilienmarkt Europa 2022: Nach "Corona-Zuckerschock" geht es bergauf

Die Pandemie hat die Immobilienbranche nur kurz gebremst. Die Vorzeichen stehen für 2022 auf Wachstum und neue Top-Trends.

London ist in Sachen Entwicklungsmöglichkeiten die Nummer eins in Europa.
London ist in Sachen Entwicklungsmöglichkeiten die Nummer eins in Europa.

Die Coronapandemie hat der internationalen Immobilienwirtschaft kurzfristig einen Schock versetzt.

„Ich hoffe, dass wir 2022 das Niveau von 2014 wieder erreichen.“
Jasmin Soravia,Urban Land Institute

"Nach diesem ,Zuckerschock' geht es nun bergauf, teilweise oft besser als zuvor", sagt Jasmin Soravia, Geschäftsführerin von Kollitsch & Soravia Immobilien und Chairwoman des Urban Land Institute Austria: "Die Frage ist, ob das auch in den nächsten Jahren so bleibt." Denn der Weg aus der Pandemie verlaufe nicht geradlinig. Das Vertrauen sei jedenfalls wieder hergestellt und lässt die Expertin positiv auf das kommende Jahr schauen. "Ich hoffe, dass wir das Niveau von 2014 wieder erreichen."

Studie "Neue Trends auf dem Immobilienmarkt Europa 2022"

Basis ihrer Einschätzung ist die Studie "Neue Trends auf dem Immobilienmarkt Europa 2022" von PwC und Urban Land Institute. Demnach plagen die Branche mehrere Sorgen. "Cybersicherheit ist eines der vielen Themen, mit denen wir uns befassen müssen, gerade jetzt, wo die Digitalisierung von Büros an Bedeutung gewinnt", sagt Soravia. 67 Prozent sind deshalb besorgt, vor allem, weil es immer mehr Branchen betrifft.

„Sorge bereiten die Themen Inflation, Baukosten und Energiepreise.“
Peter Fischer, PwC Österreich

Neben diesem Aspekt sind es in erster Linie die Themen Inflation, Baukosten und Energiepreise, die den Verantwortlichen Sorgenfalten auf die Stirn treibt. "In diesen Bereichen ist kaum Entspannung in Sicht", sagt Peter Fischer, Real Estate Leader bei PwC Österreich: "Die Inflation wird auch in Österreich noch kräftiger."

In den einzelnen Sektoren des Immobilienmarktes gibt es auch verschiedene Problemfelder. Fischer: "Im Büromarkt gibt es eine strukturelle Unsicherheit. Die Funktion und die Rolle von Büros wurde schon in Zeiten vor der Pandemie diskutiert." Jetzt komme es zu einer Polarisierung. Bei diesem Bruch sei aber nicht klar, wie sich der Markt weiterentwickeln werde. "Offen ist die Nachfrage für Zentralen auch im Hinblick auf das Thema Branding", erklärt Fischer. Das bedeutet, dass Firmenzentralen auch eine wichtige repräsentative Funktion haben. Das stellt die Frage, ob eine solche Zentrale in Innenstadtlagen oder außerhalb situiert sein soll. In den Büros selbst läuft gerade die Diskussion, ob es in Richtung flexibler Co-Working-Modelle geht oder ob es bei herkömmlichen Büros bleiben wird. "Es geht nicht um den richtigen Büro-, Einzelhandels- oder Wohnstandort, sondern eher um Standorte innerhalb des Stadtgefüges, wo versucht wird, unterschiedliche Nutzungen zu kombinieren", erklärt der Experte.

Wie reagieren aber die Investoren auf die aktuelle Situation?

Deren Interesse gilt in erster Linie der neuen Energieinfrastruktur, gefolgt von Life Sciences, Logistik, Rechenzentren oder Gesundheitswesen. Fischer: "Man muss ganz besonders darauf achten, dass man mit Leuten investiert, die sich im Bereich Biowissenschaften wirklich auskennen und vor Ort sind. Schließlich handelt es sich um Bürogebäude, die wie alles andere auch an den richtigen Stellen stehen müssen." Gerade die Life Sciences seien eine Schlüsselbranche der Zukunft, die auch entsprechende Objekte benötigt. "Ich stelle mir vor, dass in ganz Europa Life-Science-Cluster und Medizin-Cluster entstehen werden, die aus Investorensicht sehr gefragt sein werden", erwartet Fischer. Wobei sich aus Investorensicht auch die Frage Neubau versus Sanierung stellt. Denn gerade Letztere sei eine interessante Alternative, gerade was auch die CO2-Frage betrifft. "Da brauchen wir aber noch Jahre, bis es das nötige Sanierungs-Know-how gibt."

London ist top, Wien ist nicht mehr in den Top Ten des Städterankings

Wenn es um die Investitions- und Entwicklungsperspektive geht, dann haben in Europa Städte wie London, Berlin und Paris die Nase vorn. Das zeigt das Städteranking 2022 der Studie. Gerade die Spitzenstellung Londons ist dabei überraschend. Fischer: "Alle haben London wegen der Pandemie und des Brexit heruntergeredet. Aber ein Jahr später sagen sie, dass es unterbewertet ist." Und auch Berlin ist in einer besonderen Situation, denn "Berlin ist eine Schlafstadt. Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer wächst sie immer noch." Hinter diesen drei Top-Städten reihen sich aus Investorensicht Frankfurt, München, Madrid, Amsterdam, Hamburg, Barcelona und Brüssel. Wien ist mit Rang zwölf aus den Top Ten gerutscht.

Doch es sind nicht nur die externen Faktoren, die die Immobilienbranche beschäftigen, sondern auch die internen, Stichwort: organisatorischer Wandel. Dass dieser eine Top-Priorität für die nächsten drei Jahre sein werde, dieser Aussage stimmen 21 Prozent voll und ganz zu und weitere 47 Prozent stimmen zu. Die Treiber für diesen Wandel sind einerseits die sich verändernden Kundenwünsche, aber auch der Wunsch der Nutzer nach mehr Flexibilität. Ein verstärkter Fokus liegt auch im Bereich ESG (Environment, Social, Governance) sowie in der Rolle von Immobilien als Dienstleister. "Wir gehen für die Zukunft von einem anderen Verhältnis zu unseren Mietern aus. Deshalb schreiben wir einige unserer Mietverträge um, um flexibler und wirtschaftsnaher zu sein", sagt Fischer.

Triebfeder für den Wandel ist auch die Technologie. 92 Prozent sind der Meinung, dass die Adaptierung und Integration von Technologie in die Geschäftsprozesse wichtig sein wird. Fischer: "Wir versuchen immer noch herauszufinden, wie Technologie uns und unsere Tätigkeit wirklich verändert. Es gibt derzeit einen riesigen Hype um PropTech, aber viele Aspekte sind für unser professionelles Geschäft nicht von großem Nutzen."

Eine weitere Triebfeder sei, wie erwähnt, ESG, bekräftigt Soravia. Für ebenfalls mehr als 90 Prozent der Befragten ist dies ein Schlüsselfaktor. "Ich glaube, wir haben immer noch keine glaubwürdige Methode, die Auswirkungen von ESG zu quantifizieren. Es ist also nicht praktikabel, über die Amortisationszeit von ESG zu sprechen. Wir müssen das einfach tun, um unsere Vermögenswerte zukunftssicher zu machen, und wir müssen die Nachteile in Kauf nehmen." Das Stichwort "Nachhaltigkeit" sei jedenfalls in aller Munde, sagt Soravia: "Die Anpassung an den Klimawandel wird immer wichtiger." Die Pandemie sei für ESG ein Katalysator geworden. Soravia: "Die sehen deshalb einen Aufbruch in der Branche."