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Heizen und Kühlen mit Beton: Thermische Bauteilaktivierung

Beton speichert Wärme und Kälte besonders gut - sommerliche und winterliche Temperaturen lassen sich daher mit der Bauteilaktivierung ausgleichen.

Durch Rohrsysteme wird warmes Wasser oder klates Wasser in den Beton geleitet.
Durch Rohrsysteme wird warmes Wasser oder klates Wasser in den Beton geleitet.

Auf dem Gelände der Bauakademie Salzburg wird seit vielen Jahren erfolgreich daran gearbeitet, Gebäude als Energiespeicher mittels Bauteilaktivierung weiterzuentwickeln. 2018 wurde die ARGE Bauteilaktivierung für ihre herausragende Forschungsarbeit mit einem Energy Globe ausgezeichnet. Über aktuelle Möglichkeiten und künftige Szenarien, die diese Technologie bietet, haben die SN mit Architekt Gunther Graupner, dem Geschäftsführer des Kompetenzzentrums Bauforschung, gesprochen.

Zunächst zu den Grundlagen: Wie genau funktioniert eine Bauteilaktivierung bzw. Betonkernaktivierung? Gunther Graupner: Bei der "Thermischen Bauteilaktivierung" (TBA) werden Rohrsysteme in großflächige Bauteile aus Beton eingelegt, durch die warmes oder kaltes Wasser geleitet wird. Das Wasser gibt die Wärme oder Kälte an den Beton ab, der mit seiner hohen Materialdichte die Energie speichert und den Raum gleichmäßig beheizt oder kühlt. Großflächige Betonbauteile ersetzen damit den klassischen Heizkörper bzw. die Klimaanlage. Die TBA ist prädestiniert für die Koppelung mit alternativen Energiequellen und somit eine nachhaltige Methode für die Zukunft. Der minimale Energieaufwand kann zum Beispiel durch Umgebungswärme aus Geothermie oder Grundwasser, Solarenergie, Photovoltaik, Wind oder mit biogenen Brennstoffen beziehungsweise Fernwärme abgedeckt werden.

Warum wird die Nachfrage nach bauteilaktivierten Gebäuden immer größer? Der Grund findet sich wahrscheinlich (mit auch) darin, dass man zur Bauteilaktivierung Gebäudeelemente nutzen und verwenden kann, die ohnehin errichtet werden müssen. Bei der Konstruktion eines Gebäudes muss man ja immer Decke oder Boden einziehen, und in 80 Prozent dieser Fälle sind diese Elemente eben auch aus Beton. Die vorhandenen Bauteile erfahren dadurch einen Mehrwert und werden "intelligenter".

Der größte Anwendungsbereich dieses Prinzips liegt also in der Betonkernaktivierung? Ja, aus mehreren Gründen: Zum einen kann Beton in jede Form gebracht werden, was praktisch ist. Dazu kommt, dass Boden und Decke meistens ja ohnehin aus Beton bestehen. Es kommt also zu keinen zusätzlichen Errichtungskosten. Im Estrich gibt es die Fußbodenheizung ja schon lange. Man könnte sie als "kleine Schwester" der Bauteilaktivierung bezeichnen. Sie funktioniert nach dem gleichen Prinzip, nur eben weniger effektiv. Warum? Weil es im Fußboden natürlich weniger Volumen, sprich weniger vorhandenen Speicherplatz gibt. Im Vergleich dazu bieten Böden und Decken viel Volumen, also viel Speicherkapazität.

Wie lang kann Beton dann wirklich Wärme speichern? Das kommt auf die Gebäudegröße an: Wir haben es in unserem Simulationsraum geschafft, die Temperatur über fünf Tage konstant über 20 Grad zu halten, es gibt aber auch Gebäude, die dies über einen Zeitraum von sechs bis acht Tagen können. Wobei das nur funktioniert, wenn die Hülle gut ist, also wenn das Gebäude gut gedämmt ist.

Was spricht jetzt im Besonderen für die Bauteilaktivierung? Ein Aspekt ist auf jeden Fall die Wohnbehaglichkeit. Dadurch, dass die Umgebungstemperaturen der Bauteile viel höher sind, fühlt man sich in einem solcherart aktivierten Innenraum extrem wohl.

Ein anderes, vielleicht noch wichtigeres Argument, das sehr für diese Technologie spricht, ist die Speicherkapazität. Gerade im Bereich der alternativen Energien, konkret jetzt bei Windkraft, Photovoltaik, thermischen Solaranlagen, kommt es immer wieder zu Produktionsspitzen, aber auch zu Leerläufen. Energie wird nicht durchgängig und konstant produziert. Hier besteht ein großes Potenzial durch das System der Bauteilaktivierung, weil diese die Möglichkeit dafür bereitstellt, überschüssige Energie einzuspeichern und somit nutzbar zu machen. Die TBA liefert hier einen Teil der Antworten auf Fragen, die die Energiewirtschaft derzeit stark beschäftigen.

Die Speicherfähigkeit ist ja im Moment ein großes Thema. So ist es. Die Speicherfähigkeit ist meiner Meinung nach DAS bestimmende Thema. Das wird auch deutlich spürbar: Wir waren vor nicht allzu langer Zeit sogar für einen Staatspreis im Bereich Umwelt und Energietechnologie nominiert, was bis vor Kurzem noch unvorstellbar gewesen wäre, nämlich vor dem Hintergrund, dass Beton bei seiner Herstellung ja sehr viel CO2 verbraucht. Aber die intelligente Nutzung macht dieses "Manko" eben wieder wett. Es gibt mittlerweile auch Studien dazu, dass sich die Prioritäten hier stark verschieben. Wenn man heute die Ökobilanz eines Gebäudes über einen Zeitraum von 70 bis 80 Jahren betrachtet, dann richtet sich der Fokus immer weniger auf die Errichtung: Die neuen Parameter sind mehr und mehr das Nutzungsverhalten der Bewohner und der Energieverbrauch des Gebäudes. Hier punktet das System der Bauteilaktivierung stark, weil die großen Volumina es ermöglichen, mit sehr niedrigen Vorlauftemperaturen zu heizen. Gerade bei der Nutzung von alternativen Energien bringt das enorme Vorteile.

Wie kann man sich das konkret vorstellen? Bei der Warmwassergewinnung mittels einer thermischen Solaranlage musste man früher zuerst warten, bis am Kollektor eine Temperatur von 60 Grad erreicht war, um dann das heiße Wasser in den Pufferspeicher einspeisen zu können. Beim System der Bauteilaktivierung ist die Nutzung schon mit wesentlich niedrigeren Temperaturen möglich. Wenn das Bauteil etwa 23 Grad erreicht hat und die Solaranlage 24 bis 25 Grad, kann man ab diesem Zeitpunkt schon damit beginnen, Energie einzuspeichern. Mit anderen Worten: Jedes noch so kleine Sonnenfenster kann optimal ausgenutzt werden.

Wird die Technologie jetzt schon im privaten Bereich, also etwa im Einfamilienhausbereich, eingesetzt? Ja, es gibt auch jetzt schon Einfamilienhäuser, die mit Bauteilaktivierung funktionieren. Zum Beispiel ein neues Wohnhaus mit fünf Wohneinheiten in Elsbethen, das unter federführender Mitwirkung des lokalen Energieexperten Harald Kuster entstanden ist. Von den Bewohnern haben wir bisher nur positive Resonanz bekommen. Strahlungswärme ist ja eine sehr angenehme Wärme, wie man sie etwa von Kachelöfen kennt.

Abgesehen von der Beheizung wird aber auch die Kühlung von Gebäuden immer wichtiger. Es gibt mittlerweile schon einige Gebäude in Österreich, bei denen die Kühllast höher ausfällt als die Heizlast. Und obwohl das derzeit noch nicht gesehen wird, kommt damit auch eine Gefahr auf uns zu. Aus Deutschland gibt es Zahlenmaterial, das belegt, dass der prozentuelle Anteil an nachgerüsteten Klimageräten im Einfamilienhausbereich jährlich zwischen fünf und sieben Prozent beträgt. Diese Geräte sind natürlich extrem energieintensiv. Somit glaube ich, dass die Sommer langfristig zum Problem werden. Wenn immer mehr Menschen Klimaanlagen kaufen und die dann auch gleichzeitig einschalten, wenn es zu heiß wird, wird sich das wohl oder übel bemerkbar machen. Vor allem die Gleichzeitigkeit wird ein Problem werden. Dazu kommt: Um ein Grad abzukühlen, braucht man etwa vier Mal so viel Energie wie dafür, um ein Grad zu erwärmen. Das heißt: Wenn ich einen Monat lang kühle, könnte ich mit der dafür aufgebrachten Energiemenge drei bis vier Monate lang heizen.

Wie funktioniert die Kühlung nach dem Prinzip der Bauteilaktivierung? Hier ist es - entsprechend dem Prinzip beim Heizen - wieder so, dass ein deutlich geringerer Energieaufwand benötigt wird, um Gebäude zu kühlen. Angenommen, die Raumtemperatur liegt bei 26 Grad und die Bauteile haben 24 Grad, dann könnte man bei 22 Grad Medium-Temperatur schon damit beginnen, dem Raum Energie bzw. Wärme zu entziehen, was durch die Großflächigkeit auch hervorragend funktioniert. Durch die große Masse wird schnell eine Grundkühlung erreicht. Im Fall der beschriebenen Wohnanlage in Elsbethen funktioniert dies etwa mittels Wärmepumpe und Tiefensonde. Im Grunde muss dann nur noch der Strom für die Pumpe aufgewendet werden.

Ein realistisches Zukunftsszenario ja oder nein: Werden sich die Städte der Zukunft zu Energiespeichern wandeln? Durchaus ja! In Wien gibt es derzeit zwei Projekte, die ein ähnliches Ziel verfolgen und über Gemeindegrenzen hinaus angelegt sind. Hier sind zwei größere Wohnsiedlungen entstanden, die bauteilaktiviert sind. Eingespeist wird, soweit es möglich ist, die überschüssige Energie aus der Region, hier vor allem Wind und Photovoltaik. Da gäbe es schon viele ähnliche andere Szenarien, die möglich wären, vor allem dann, wenn man über die lokalen Grenzen hinausdenkt. Auch Varianten, industrielle Abwärme zu nutzen, sind auf jeden Fall realistisch und denkbar. Energie, die sonst einfach verpufft, könnte durch thermische Bauteilaktivierung einen völlig neuen Nutzen entwickeln.