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Paketauto statt Geschäftslokal?

Der Shutdown spielt dem Onlinehandel in die Hände. "Erlebnis" lautet das Schlüsselwort für Innenstädte und Einkaufszentren, um die Kunden wiederzugewinnen.

Pakete über Pakete zum Ausliefern.
Pakete über Pakete zum Ausliefern.

Wie schaut die Zukunft des Handels aus? Werden stinkende Diesel-Transporter herkömmliche Geschäfte ersetzen, ganze Innenstädte leer stehen, oder wird der Onlinehandel ein spezifisches Segment abdecken und der herkömmliche stationäre Handel seine Stärken ausspielen können? Diese Fragen drängen sich gerade heuer besonders auf. Denn die staatlichen Coronamaßnahmen haben dem Onlinehandel einen starken Zuwachs beschert, während der stationäre Handel während der beiden Shutdown-Phasen geschlossen bleiben musste. "Corona hat den Strukturwandel im Handel verstärkt", umreißt Karsten Jungk, Geschäftsführer von Wüest Partner Deutschland, die Situation im Nachbarland. Zwischen 1999 und 2019 habe der Onlinehandel in Deutschland um 120 Prozent zugenommen, während Kaufhäuser 42 Prozent ihrer Umsätze verloren hätten.

Auf "Mixed Uses"bauen

Daran ist nicht allein der E-Commerce schuld, im Handel gibt es seit Jahren einen Strukturwandel, der sich dadurch nur noch weiter beschleunigt. Jungk weist in diesem Zusammenhang etwa darauf hin, dass Shoppingcenter oder auch klassische Kaufhäuser künftig verstärkt auf "Mixed Uses" setzen sollten, also weg von 100 Prozent Retail und hin zu einer Nutzung mit Arztpraxen, Fitnesscentern, Logistik, Büros und Wohnungen. Wie sehr Corona heuer das Gesamtgeschäft beeinflusst hat, zeigt etwa die Deutsche Euroshop AG, deren Mieterlöse im ersten Quartal bei 98 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres lag, dann im zweiten Quartal auf 55 Prozent absank und im dritten Quartal auf 92 Prozent anstieg. "Wie es jetzt im vierten Quartal sein wird, wo es fast in der ganzen EU Shutdowns gibt, ist schwer zu sagen, der stationäre Handel verzeichnet jedenfalls einen Rückgang um 40 Prozent."

Profitiert haben in diesen Zeiten nicht nur die Onlinehändler, sondern vor allem auch die Nahversorger, bestätigt Jens Nagelsmeier von Warburg-HIH Invest in Hamburg. Lebensmittelhändler und Fachmarktzentren hätten, im Gegensatz zum Einzelhandel, profitiert. Auch er sieht den Handel künftig noch mehr in einem Strukturwandel. Neben den schon erwähnten "Mixed Uses" würden im Lebensmittelbereich die Flächen attraktiver und größer. In den Innenstädten würden dessen Flächen hingegen atypisch kleiner und würden künftig auch Gastronomieflächen beinhalten. Gerade die Innenstädte stünden zuletzt viel stärker im Fokus. Da würden für das Erdgeschoß Nahversorger gesucht, in den Obergeschoßen seien Wohnungen. "Das ist immer mehr eine Anforderung der Gemeinden, auch wenn die Anlieferung mittels 40-Tonner um sechs Uhr morgens zu Problemen führt."

Grundsätzlich brauche es in den Innenstädten künftig mehr Einkaufserlebnis auch als Antwort auf den Onlinehandel. Dazu gehörten auch Ladestationen für E-Bikes und Elektroautos, mehr Regionalität im Angebot und Markthallen-Konzepte mit Food-Inseln. Für die Investoren bedeute dies höhere Baukosten durch die gestiegenen Ansprüche der Mieter und auch Nachinvestitionen. Dem gegenüber stünden immer mehr langfristige Mietverträge, was sich positiv auf die Rentabilität auswirke. "15 Jahre sind inzwischen keine Seltenheit mehr", sagt Nagelsmann. Mit Blick auf das Jahr 2021 sieht der Experte weiterhin einen Fokus auf den Lebensmittelhandel mit einem Trend zur Nachhaltigkeit. "E-Commerce bleibt hier ein Randthema für Ballungszentren."

Bild: SN/girlan
Der Handel muss sich anstrengen, um die Kunden zurückzuholen.
Martin Mörl, Girlan Immobilien, Hamburg

Der Handel habe 2020 extrem gut gestartet, ergänzt Martin Mörl, Geschäftsführer Girlan Immobilien mit Sitz in Hamburg: "Jetzt gibt es aber viel zu tun, um die Mieter zu halten. Da muss man zu Zugeständnissen bereit sein. Kein Vermieter hat ein Interesse daran, jetzt Mieter zu verlieren." Den Boom beim Onlinehandel sieht er differenziert: "Schon nach dem ersten Shutdown hat sich gezeigt, der Kunden sucht das physische, das haptische Erlebnis." Dazu käme der Wunsch nach sozialen Begegnungen, der nach Ende der Einschränkungen umso mehr hervorkomme. Das habe man im Sommer auch in der Gastronomie gesehen. Ärgerlich aus seiner Sicht sind aktuell die "Erlebnis-Einbußen" beim Weihnachtsgeschäft und die Tatsache, dass der Shutdown dem Onlinehandel auch bisherige Skeptiker zutreibt. "Der Handel muss sich sehr anstrengen, um die Kunden zurückzuholen, etwa im Bereich Textil."

Die Innenstädte müssten sich deshalb teils neu positionieren und bräuchten dafür auch die Unterstützung der Politik. "Manche Bürgermeister sehen sich inzwischen als oberste Projektleiter", begrüßt der Experte das Erwachen der Politik beim Thema Innenstädte: "Es braucht Investitionen, gute Ideen und einen guten Mietermix, dazu auch Gastronomie und Veranstaltungen." Denn der Einzelhandel sei nach wie vor der Hauptfrequenzbringer in den Innenstädten. Dazu gehört auch die Umnutzung von ehemaligen Kaufhäusern hin zu kleinteiligeren Strukturen mit Erlebnis, E-Stationen, Parkplätzen und auch Büro- und Wohnflächen. Mörl: "Ganz wichtig ist, den Kunden über die Atmosphäre wieder in die Innenstädte hineinzuziehen."

Auch in Salzburg ändert sich die Einzelhandelsstruktur

Ganz offen sieht Wolfgang Maislinger vom Immobilienbüro Hölzl & Hubner die künftige Entwicklung der Handelsimmobilien in Stadt und Land Salzburg. "Wir wissen noch nicht, wie sich der Onlinehandel dauerhaft auswirken wird. Kommen die Menschen in die Geschäfte zurück?" Einkaufen sei auch eine Erlebnis und Teil der Freizeitgestaltung, gerade bei jungen Menschen. "Das geht derzeit vielen ab", sagt der Experte. Auf der anderen Seite hätten auch Skeptiker gewisse Vorteile des Onlinehandels erkannt und sich daran gewöhnt.

Seitens des Flächenangebots gebe es schon länger kaum mehr Ausweitungen, Neuwidmungen seien inzwischen selten. "Auch das Weiterziehen in neue Flächen ist kaum mehr üblich, nicht nur in Salzburg, sondern auch in Österreich und dem angrenzenden Bayern", sagt Maislinger. Gute Standorte würden gehalten, schlechte erwiesen sich oft für andere Branchen als besser geeignet. "Bei der Großfläche gibt es in Salzburg kaum Probleme, ähnlich dürfte es auch bei den kleinen Geschäften sein", sagt Maislinger: "Thema sind vielmehr die mittelgroßen Geschäftslokale, die für die Filialisten zu klein und für kleine Geschäftsleute zu groß sind." Das sind Lokale zwischen 200 und 300 Quadratmetern. "Den klassischen regionalen Händler gibt es ja kaum noch, aber es kann sein, dass sich da künftig wieder ein Konzept dafür entwickelt."

Bild: SN/bernhard schreglmann
Einkaufen ist auch ein Erlebnis und ein Teil der Freizeitgestaltung.
Wolfgang Maislinger, Hölzl & Hubner, Salzburg

Die Gefahr von großen Leerständen und leerer Innenstadt sieht der Experte derzeit noch nicht. Aufgrund der vielen Hilfen und Zuschüsse würden die meisten Geschäftsleute derzeit über die Runden kommen. "Bis jetzt ist nichts passiert, auch größere Kündigungen sind mir nicht bekannt", meint der Immobilienexperte: "Wenn ein Geschäft nicht schon vorher Probleme hatte, wird es wohl überleben, wenn die Kunden zurückkommen."

Schon im Sommer habe sich aber gezeigt, dass sich gerade in der Stadt Salzburg die Struktur des Handels in der Innenstadt geändert habe. Die Geschäftsleute hätten ihr Angebot aufgrund der fehlenden Touristen, vor allem aus Übersee, den "neuen" heimischen Besuchern anpassen müssen, "je nachdem, wie lange die veränderten Touristenströme anhalten". In den Ortskernen der Gemeinden sehe es deshalb anders aus. "Alle Bereiche, die nicht vom Tourismus gelebt haben, funktionieren, auch weil die Leute ja zu Hause bleiben mussten. Es fragt sich nur, wie lange das anhält." Und: Wenn es Bestand habe, dass man auch künftig sogar Schuhe und Kleidung im Internet kaufe statt im Geschäft, dann werde es zu einem großen Umbruch in der heimischen Geschäftswelt kommen. Maislinger: "Allerdings haben wir zuletzt auch schon den umgekehrten Weg gesehen, dass Onlinehändler verstärkt in die Präsenz gehen."

Doch was bedeutet das für Hauseigentümer und Investoren? "Momentan halten sich die Mietausfälle aufgrund der Fixkostenzuschüsse sehr in Grenzen", sagt Maislinger: "Laufende Mietverträge können kaum verändert werden." Anders sehe es dann aus, wenn es um eine Verlängerung oder Neuverhandlung gehe. Dann müsse sich schon zeigen, ob die Mieten auch noch darstellbar und verdienbar seien. "Hohe Mieten gibt es dort, wo auch hohe Umsätze sind", rechnet Maislinger vor: "Dann wird sich auch bei den Mieten etwas ändern müssen, wenn sich die Umsätze halbieren." Wieweit es zu Veränderungen kommen werde, hänge auch davon ab, ob das Gebäude einem Einzelnen gehöre, der auch frei entscheiden könne, oder einem Fonds oder anderen Organisation. Schon bisher wurde etwa mit Staffelmieten neuen Mietern entgegengekommen. Aber wenn gewisse Miethöhen nicht mehr erreichbar sind, stimmt für manchen Investor auch die Gesamtrechnung nicht mehr. Maislinger: "Gerade in der Stadt war es ja bisher so: Das Geschäftslokal trägt das ganze Haus. Die Wohnungsmieten in den oberen Stockwerken sind meist nur ein Extra."