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Handel im Wandel?

Einkaufscenter, Fachmarktzentren und Einkaufsstraßen bekommen ein völlig anderes Gesicht. Immobilienexperten gehen dennoch davon aus, dass der "Online-Schock" schon überwunden ist.

Der Charakter von Einkaufsstraßen, Shoppingcentern etc. wird sich stark verändern.
Der Charakter von Einkaufsstraßen, Shoppingcentern etc. wird sich stark verändern.

Selten hatte der Satz "Handel ist Wandel" so große Berechtigung wie vor dem Start des Weihnachtsgeschäfts 2019. Die kontinuierlich stärker werdende Konkurrenz durch den Onlinehandel und ein spürbarer Wandel des Konsumverhaltens setzen gerade die früheren Wachstumsmotoren des filialgebundenen Einzelhandels erheblich unter Druck. Infolgedessen werden nicht nur Expansionspläne radikal gekürzt, vielmehr werden auch bestehende Netze ausgedünnt oder Filialen verkleinert.

"Wir erleben derzeit keine graduellen Veränderungen, sondern den Beginn eines Umbruchs. Wenn dieser abgeschlossen ist, werden traditionelle Einkaufsstraßen, Einkaufs- und Fachmarktzentren ein völlig anderes Gesicht haben als jetzt", erklärte Michael Ehlmaier, Geschäftsführer des stark bei Einzelhandelsimmobilien engagierten Immobiliendienstleisters EHL Immobilien, bei einem gemeinsamen Pressegespräch des auf Einzelhandel spezialisierten Beratungsunternehmens Regioplan und von EHL Immobilien. "Immobilienwirtschaft und Handel haben Konzepte und Strategien entwickelt, um den grundlegend neuen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen, aber nur die Standorte, an denen diese konsequent und rasch umgesetzt werden, werden auch in Zukunft erfolgreich bleiben."

"Wenn wir über Handel diskutieren, ist Onlinehandel das absolute Schlüsselthema, denn das Internet verändert maßgeblich, wo und wie die Kunden kaufen", erklärt Wolfgang Richter, Gründer und Geschäftsführer von Regioplan Consulting. Der Trend lässt sich deutlich ablesen: Seit fünf Jahren geht die Verkaufsfläche - ausgenommen im Lebensmittelhandel - jährlich um ca. zwei Prozent zurück. Betroffen sind nicht mehr nur B- oder C-Lagen, sondern auch die stärksten Handelszonen. Die Expansionslust der Einzelhändler ist ebenso stark zurückgegangen. Waren es noch vor wenigen Jahren viele Unternehmen, die sich um die besten Standorte gestritten haben, expandieren im Moment nur wenige - und dies vorwiegend im Diskontbereich. "Während noch vor wenigen Jahren gute Shoppingmalls Wartelisten für mögliche Handelsmieter hatten und in guten innerstädtischen Lagen sowieso keine leistbare Fläche verfügbar war, sehen wir im Moment, dass die Zahl der Mietinteressenten stark zurückgegangen ist", sagt Richter.

So sind innerstädtische Handelszonen mit bis zu 25 Prozent und mehr Leerstand keine Seltenheit mehr. Die Passantenfrequenzen in den Stadtkernen und innerstädtischen Handelszonen sinken aktuell im Durchschnitt um etwa vier bis sechs Prozent pro Jahr, was wiederum weniger Umsatz für die Geschäfte und dementsprechend mehr Leerstand zur Folge hat. Nur in wenigen Fällen können die steigenden Touristenfrequenzen die Lücken füllen.

"Internet und periphere Einkaufszentren eröffnen längst andere Optionen und die Kunden müssen nicht mehr in die innerstädtischen Handelszonen kommen. Die verantwortlichen Planer und Politiker, aber auch Geschäftsleute und Investoren müssen dafür sorgen, dass sie kommen wollen", fordert Richter. "Der Tourismus hat vorgezeigt, wie viel man mit einer geänderten Einstellung gegenüber seinen Kunden erreichen kann. Menschen, die man als Kunden haben möchte, dürfen nicht länger als Umsatzspender und Steuerzahler gesehen, sondern sie müssen als Gäste betrachtet werden."

Die geänderten Rahmenbedingungen erfordern jedenfalls neue Maßnahmen. Wenn die notwendigen Wege zum stationären Einzelhandel weniger werden, müssen neue "Attraktionen" Anreize schaffen, Einkaufszonen zu besuchen. "Geschäfte werden ihre Funktionen ändern müssen, die Handelszonen und Innenstädte ebenfalls. Was es braucht, sind Wille und Macht und Wissen, etwas zu verändern", betont Richter.

Ins selbe Horn stößt auch Mario Schwaiger, Leiter des Geschäftsbereichs Einzelhandel bei EHL. Die aktuelle Situation stelle zwar eine Herausforderung dar, dennoch sei er für die weitere Entwicklung der wichtigsten Retailstandorte sehr zuversichtlich: "Gerade in den zurückliegenden zwölf Monaten registrieren wir wieder mehr positive Signale, die zeigen, dass der Online-Schock überwunden ist." Besonders positiv bewertet Schwaiger das zunehmende Interesse neuer internationaler Retailer an einer Expansion nach Österreich, von der in erster Linie Wien, aber auch Landeshauptstädte wie Salzburg, Graz, Innsbruck und Linz profitieren. Binnen zweier Jahre haben mehr als 20 Ketten den ersten Schritt nach Österreich gewagt. "Bei diesen ersten Schritten werden anfangs nur kleine Flächen angemietet, aber nach einer erfolgreichen Startphase wollen diese Unternehmen ihre Präsenz zügig ausweiten. Die Reduktion bestehender Filialnetze eröffnet diesen Newcomern Expansionsmöglichkeiten in besten Lagen und in einem Tempo, das vor wenigen Jahren noch kaum vorstellbar gewesen wäre."

Weitere Veränderungen in den Einkaufsstraßen und Zentren

Neben der stärkeren Diversifikation der Filiallandschaft prognostiziert Schwaiger einige weitere gravierende Veränderungen in den Einkaufsstraßen und Einkaufszentren:
Gastronomie boomt:
Der Anteil von Restaurants und Lokalen, insbesondere der Systemgastronomie, an den gesamten Einzelhandelsflächen in guten Lagen wird sich in den kommenden zehn Jahren verdoppeln.

Einkauf & Entertainment:
Unterhaltungsangebote werden zu einem unverzichtbaren "Must-have". E-Sports, Virtual Reality, Sport und Fitness etc. werden zum Standardangebot in guten Einkaufslagen.

Service to go:
Dienstleistungen wie insbesondere Gesundheitsangebote (Arzt, Physiotherapie, Massage etc.) werden verstärkt in Einkaufszonen angeboten werden. Die Dienstleister profitieren von der hohen Frequenz ("Frequenznutzer"), die Einzelhändler ("Frequenzbringer") von der längeren Verweildauer. Zusätzlich gibt es Zielgruppen-synergien zum Beispiel zwischen Gesundheitsdienstleistern und Shops mit Bioschwerpunkt.

"Online goes offline":
Die Idee einer klassischen Filiale für einen Onlineshop klingt zwar ein wenig wie das berühmte "WLAN-Kabel", dennoch gewinnt dieses Konzept immer mehr an Bedeutung. Onlineshops werden verstärkt an prominenten Standorten mit Filialen präsent sein, damit Kunden Produkte ansehen oder testen können. Was zählt, sind Imagebildung und Service, ob dann in der Filiale oder per Mausklick gekauft wird, ist egal.

Mehr und aufwendigere Allgemeinflächen:
Besonders Einkaufszentren werden einen höheren Anteil ihrer Gesamtfläche für Nutzungen wie Kinderbereiche, Aufenthaltszonen, Eventbühnen etc. zur Verfügung stellen müssen. "Einkaufsstraßen sowie Einkaufs- und Fachmarktzentren stehen vor großen Herausforderungen und hohen Investitionen, aber die Sorge, dass die traditionellen Einkaufszonen der Onlinekonkurrenz zum Opfer fallen werden, ist völlig unbegründet", beruhigt Schwaiger. "In Zukunft wird man für immer weniger Einkäufe aus dem Haus gehen, aber attraktive Einkaufsstraßen und Einkaufszentren werden dafür sorgen, dass man trotzdem dorthin gehen will."

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