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Alt und Jung leben unter einem Dach

Die einen haben Platz, die anderen suchen Wohnraum: Über eine Plattform finden Senioren und Studenten zu Wohnpartnern zusammen.

 Jung hilft alt und umgekehrt: Elisabeth Hofbeck und Maria Dorothea Simon bilden eine besondere Wohngemeinschaft.
Jung hilft alt und umgekehrt: Elisabeth Hofbeck und Maria Dorothea Simon bilden eine besondere Wohngemeinschaft.

Langweilig ist Peter Bleier eigentlich so gut wie nie. "Gott sei Dank!", ruft der 77-jährige Wiener und erzählt im gleichen Atemzug von gleichaltrigen Bekannten, denen altersbedingte Einsamkeit zu schaffen macht - während der Pandemie noch mehr als sonst. Bleier hat sich für einen anderen Weg entschieden, und zwar schon vor langer Zeit: Seit 27 Jahren teilt der mittlerweile pensionierte Architekt seine großzügige Wohnung in Wien mit jungen Menschen. "Die sorgen dafür, dass es Leben in der Bude gibt. Ich genieße das." Derzeit lebt Bleier mit drei jungen Menschen - seinem 30-jährigen Sohn, einem Studenten und einer 32-jährigen Kindergärtnerin - auf 200 Quadratmetern zusammen. Jeder hat ein eigenes Zimmer, Küche und Bad werden geteilt. "Das klappt wunderbar", schwärmt der Wiener. "Vielleicht liegt das daran, dass wir keine Regeln haben. Wir nehmen aufeinander Rücksicht, ganz einfach", verrät er das Geheimnis des erfolgreichen Zusammenlebens.

Eine Hand wäscht die andere: So funktioniert die Generationen-WG

Es ist nicht nur die Gesellschaft, die Peter Bleier an seiner Generationen-WG schätzt: "Ich muss in meinem Alter keine Getränkekisten mehr schleppen und auch auf keine wackelige Leiter steigen, um eine Glühbirne auszutauschen", nennt der Senior weitere Vorzüge. Auch bei technischen Fragen zu Handy oder Internet helfen ihm die jungen Leute. Dafür dürfen diese Bleiers Auto sowie Drucker, Kopierer und andere Geräte aus seinem Besitz benutzen. "Eine Hand wäscht die andere und jeder bringt das ein, was er oder sie kann. So ist das bei uns." Das bestätigt auch Bleiers ehemalige Mitbewohnerin Patricia Lodjn. Die 24-jährige Studentin erinnert sich gern an ihre Zeit in dieser besonderen WG. "Die gegenseitige Unterstützung war toll. Weil ich recht gut im Handarbeiten bin, habe ich manchmal etwas repariert für den Peter. Während des ersten Lockdowns haben wir Jüngeren das Einkaufen übernommen, Peter hat dafür öfter gekocht", erzählt sie. Neben dem "netten sozialen Charakter" hatte diese Wohnform für sie den Vorteil, ein erschwingliches Zimmer in absoluter Traumlage zu bekommen. "So eine Unterkunft wäre sonst nicht bezahlbar für mich gewesen."

Dass Patricia Lodjn wie auch Peter Bleiers aktuelle Mitbewohnerin den Weg in die Generationen-WG gefunden haben, ist Wohnbuddy zu verdanken. Das junge Wiener Sozialunternehmen vermittelt seit 2015 generationenübergreifenden Wohnraum in der Bundeshauptstadt - mit großem Erfolg.

"Die Idee ist aus unserer persönlichen Erfahrung heraus entstanden" erzählt Wohnbuddy-Mitbegründerin Marlene Welzl. "So wie viele junge Menschen sind wir nach Wien gekommen und haben gemerkt, dass Wohnraum knapp und für Studenten überteuert ist. Auf der anderen Seite haben wir festgestellt, dass viele ältere Menschen zwar über viel Wohnraum verfügen, dafür aber einsam sind. So kamen wir auf die Idee, diese beiden Bedürfnisse zusammenzubringen, weil wir glauben, dass sie sich gut ergänzen", schildert die 32-Jährige, die gemeinsam mit zwei Studienkollegen das Unternehmen aufgezogen hat. Außer dem sozial-gemeinschaftlichen Aspekt des Zusammenlebens von Alt und Jung biete auch der ökonomische Faktor einen ganz klaren Mehrwert, ist Welzl überzeugt.

Generationsübergreifendes Zusammenleben im Senorenheim

Bei Wohnbuddy können sich junge wohnraumsuchende Menschen, die bereit sind, Ältere im Alltag zu unterstützen, ebenso melden wie ältere Menschen, die sich Gesellschaft und etwas Unterstützung innerhalb der eigenen vier Wände wünschen. Nach der Kontaktaufnahme prüft das Wohnbuddy-Team, ob es zwei Personen gibt, deren Wünsche, Erwartungen und Persönlichkeiten zusammenpassen, und arrangiert ein persönliches Treffen. "Wenn die Chemie stimmt, sollte auch gleich besprochen werden, welche Vorstellungen jeder von dieser Wohngemeinschaft hat. Das sind meist grundlegende Dinge, etwa wie wichtig Sauberkeit ist, ob man sich regelmäßige gemeinsame Unternehmungen wünscht oder eigentlich lieber seine Ruhe haben will", erklärt Welzl.

Neben der Vermittlung von privat zu privat ermöglicht Wohnbuddy in Kooperation mit dem Kuratorium Wiener Pensionistenwohnhäuser (KWP), der Residenz Josefstadt und der Caritas Pflege auch Möglichkeiten des Zusammenlebens in deren Senioren- und Pflegewohnhäusern: Freie Zimmer werden für junge Menschen günstig zur Verfügung gestellt. In diesem Zusammenhang stellt Welzl klar, dass die vermittelten Studenten keine Pflege oder Ähnliches leisten sollen und dürfen. "Dafür gibt es andere. Wir sehen uns ganz klar als Ergänzung zu mobilen Pflegediensten", betont die 32-Jährige. "Bei unserem Konzept geht es vielmehr um einfache Dinge wie Gesellschaft leisten oder mal im Alltag anpacken - also Einkaufstaschen hinauftragen oder andere leichte Haushaltstätigkeiten." Das Wohnen im Seniorenheim biete ähnliche Vorteile für beide Seiten, meint Welzl. "Von dem generationsübergreifenden Zusammenleben profitieren alle - die jungen genauso wie die älteren Bewohner."

Die Doktoratsstudentin Charlotte Spencer hat sich getraut und ist im September in ein Seniorenwohnheim der KWP eingezogen. Nachdem sie die Anzeige von Wohnbuddy gelesen habe, habe sie ein paar Tage überlegt, ehe sie ihren Entschluss gefasst habe. "Ein wenig nervös war ich schon am Anfang", verrät die 35-Jährige. "Aber bisher habe ich es keinen Moment bereut. Es ist eine einmalige Chance, eine völlig andere Lebenswelt kennenzulernen."

Die gebürtige Engländerin lebt mit ihrem Partner Imad in einer Zweizimmerwohnung im Seniorenheim - zu einem sehr fairen Preis, wie sie sagt. Dafür müssen sie pro Woche fünf Stunden ihrer Zeit den älteren Mitbewohnern widmen, Haushaltstätigkeiten fallen nicht darunter. Das ist vertraglich geregelt. "Wir können uns aussuchen, was wir machen, und die Zeit frei einteilen. Derzeit besuchen wir die Betreuungsgruppen für demente Personen - unter strengen Corona-Hygienemaßnahmen. Dort plaudern wir, spielen Brettspiele oder gehen spazieren", erzählt Spencer. Die meisten Bewohner freuten sich über die jungen Menschen, Berührungsängste gebe es kaum.

Auch seine Herkunft habe nie eine Rolle gespielt, erzählt der 29-jährige Syrer Imad. "Ich hatte anfangs Bedenken, ob es vielleicht Vorurteile gibt. Aber sie haben mich gleich akzeptiert." Dafür sei er dankbar. Und auch, dass er und seine Freundin so viel von den Bewohnern lernen dürften. "Alte Menschen haben viel erlebt und viel zu erzählen. Das ist interessant, man kann viel für sich persönlich mitnehmen. Zum Beispiel, dass man die kleinen Dinge im Leben genießen soll", sagt der Student.

Was Charlotte Spencer sehr schätzt, sind die Gespräche mit ihren Mitbewohnern. "Alte Menschen sind nicht so gestresst wie die Jungen. Sie haben Zeit und hören wirklich zu. Und sie sind nicht abgelenkt, weil sie nicht dauernd aufs Handy schauen. Dadurch ergibt sich eine ganz andere Gesprächsqualität."

Marlene Welzl hat mit ihren Studienkollegen Lukas Hecke und Manuel Schuler das Start-up Wohnbuddy gegründet.

Was ist die Motivation von Ihren älteren Kunden?
Marlene Welzl: Den meisten älteren Menschen, die sich an uns wenden, geht es um Gesellschaft. Sie möchten nicht allein sein, wollen aber auch in ihren eigenen vier Wänden bleiben.

Und diese älteren Menschen haben viel Platz daheim.
Es ist oft so, dass ältere Menschen in größeren Wohnungen leben. Deshalb nutzen wir diesen bestehenden unbelegten Wohnraum und bringen Jung und Alt zusammen. Durch den finanziellen und sozialen Mehrwert entsteht für beide Seiten eine Win-win-Situation. Auch der Zeitpunkt, an dem die älteren Menschen in eine Pflegeeinrichtung ziehen müssen, kann sich so verzögern.

Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf Ihr Unternehmen?
Corona hat uns einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Wir spüren zwar, dass das Interesse nach wie vor da ist, aber die Nachfrage ist verständlicherweise gedämpft. Wir schauen dennoch optimistisch nach vorn und nutzen die Zeit, um unseren Internetauftritt und den Vermittlungsprozess zu optimieren.

Sie hegen Expansionsgedanken. Wo kann das Konzept funktionieren?
Altersübergreifendes Wohnen ist nicht nur in Wien ein Thema. Prinzipiell funktioniert das Konzept in jeder Stadt mit einer tertiären Bildungseinrichtung, egal ob Österreich oder Deutschland.


Marlene Welzl hat mit ihren Studienkollegen Lukas Hecke und Manuel Schuler das Start-up Wohnbuddy gegründet.

Was ist die Motivation von Ihren älteren Kunden?
Marlene Welzl: Den meisten älteren Menschen, die sich an uns wenden, geht es um Gesellschaft. Sie möchten nicht allein sein, wollen aber auch in ihren eigenen vier Wänden bleiben.

Und diese älteren Menschen haben viel Platz daheim.
Es ist oft so, dass ältere Menschen in größeren Wohnungen leben. Deshalb nutzen wir diesen bestehenden unbelegten Wohnraum und bringen Jung und Alt zusammen. Durch den finanziellen und sozialen Mehrwert entsteht für beide Seiten eine Win-win-Situation. Auch der Zeitpunkt, an dem die älteren Menschen in eine Pflegeeinrichtung ziehen müssen, kann sich so verzögern.

Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf Ihr Unternehmen?
Corona hat uns einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Wir spüren zwar, dass das Interesse nach wie vor da ist, aber die Nachfrage ist verständlicherweise gedämpft. Wir schauen dennoch optimistisch nach vorn und nutzen die Zeit, um unseren Internetauftritt und den Vermittlungsprozess zu optimieren.

Sie hegen Expansionsgedanken. Wo kann das Konzept funktionieren?
Altersübergreifendes Wohnen ist nicht nur in Wien ein Thema. Prinzipiell funktioniert das Konzept in jeder Stadt mit einer tertiären Bildungseinrichtung, egal ob Österreich oder Deutschland.